1. kingdom come
2. the curtain has fallen
3. join the great majority
4. give up the ghost
life is a highly overrated phenomenon
5. be given a gentle push
6. the great adventure
Literaturverzeichnis samt Linx
Inhaltsverzeichnis und Gästebuch



5 "be given a gentle push" -
Männliche Geburten der Mittel der Apokalypse

5.  be given a gentle push - Männliche Geburten der Mittel der Apokalypse
5.1.  Die Bombe
5.2.  Die Rakete
5.3.  Baby, we were born to run
5.4.  Der Computer
5.5.  Die unterschlagene Katastrophe bei Platon und Freud
Im folgenden Kapitel greife ich einen Gedanken aus Kapitel 4.1 wieder auf, der die Geschlechterspannung als grundlegendes Motiv der Apokalypse versteht. Die Projekte apokalyptischer Weltvernichtung sind mit einer männlichen Geburtstätigkeit verbunden. Für die Horstmannsche Theorie betrifft diese Geburtstätigkeit einerseits die Etablierung einer männlichen Denkerfamilie und andererseits die Vereinigung des anthropofugalen Denkers mit der als Hure bezeichneten Apokalypse, woraus als imaginierte Weltvernichtung die Denklust an der Menschenleere entspringt.
Auf naturwissenschaftlichem Gebiet brachte der als "Vorbereitungskrieg" (Horstmann 1983, S. 60) auf das "große Schlussmachen" bezeichnete zweite Weltkrieg drei technische Erfindungen mit sich, die als männliche Geburten der Mittel der Apokalypse bezeichnet werden können 100 : Die Nuklearbombe (USA), die Raketentechnologie (Dtld.), der Computer (England 101 ); (vgl.Kittler 1998, S. 307).
Der Krieg ist so Vater aller Dinge der Apokalypse, die Väter der Kriegstechnologie sind die (unabsichtlichen?) Freier der Apokalypse und haben mit wissenschaftlicher Denklust kopuliert, die Kinder sind die Möglichkeiten menschgemachter Apokalypse. Beide Geburtsvorgänge, sowohl die wissenschaftliche Herstellung der realen apokalyptischen Gerätschaft als auch die Produktion der Theorie der Anthropofugalität, sind Tätigkeiten ausschließlich männlicher Natur.
Jeder der drei technischen Erfindungen und der damit verbundenen Geburtsmetaphorik und -tätigkeit ist im folgenden ein Kapitel gewidmet, nach dem Kapitel zur Rakete ist ein Kapitel eingeschoben, das die Beziehung zum Horstmannschen Denken herstellt. Ein abschliessendes Kapitel folgt einer Spur bei Freud, die zu Platon und einer Theorie des männlichen Weltuntergangs führt.

 



 

5.1 Die Bombe

BLOW UP
I vi 1. (be exploded) in die Luft fliegen; (bomb) explodieren.
2. (lit, fig: gale, crisis, row) ausbrechen.
3. (fig inf: person) explodieren (inf).
II vt sep 1. mine, bridge, person in die Luft jagen, hochjagen.
2. tyre, balloon aufblasen. he was all ~n ~ with pride er platzt fast vor Stolz
3. photo vergrößern.
4. (fig: magnify, exaggerate) event aufbauschen (into zu)
(Schulwörterbuch Englisch-Deutsch, PONS 1986)


Im apokalyptischen Diskurs der 1980er Jahre steht als Mittel der Herstellung des Weltunterganges das nukleare Bombenarsenal im Zentrum. Schon die Tatsache, dass oft nur von der Bombe die Rede ist, unterstreicht die besondere Position der Atombomben. Rund um die Erfindung der Atombombentechnolgie und v.a. bei den ersten A-Bombentests finden sich etliche Aussagen von Wissenschaftlern, Technikern und Politikern, die das Phänomen der nuklearen Explosionen mit Geburtsvorgängen bezeichnen. Fathering the Unthinkable 102 lautet der diesen Sachverhalt treffend bezeichnende Originaltitel eines Buches von Easlea (1986), in dem die Hervorbringungstätigkeit männlicher Wissenschaft bei der Erfindung der Atombombe anhand der reichen Geburtsmetaphorik untersucht wird:
Fat BoyZwei Tage nach dem ersten erfolgreichen Test einer Plutoniumbombe in Los Alamos erhielt US-Kriegsminister Stimson, der gerade an der Potsdamer Konferenz der "Großen Drei" teilnahm, ein verschlüsseltes Telegramm mit dem Wortlaut: "doktor soeben zurückgekommen. Äußerst zufrieden. Meint, der Kleine sei bestimmt ebenso kräftig wie sein großer Bruder. Das Leuchten in seinen Augen sei weithin zu sehen und sein Geschrei bis zu meinem Gehöft zu hören gewesen" (Easlea, S. 114) 103 . ,Babies satisfactorily born" lautete die Information, die Churchill bekam (Easlea 1986, S. 121) 104 .

Nachbildung der zwei jungenhaften BombenDer "große Bruder" ist die Uranbombe, die aufgrund eines unkomplizierteren Sprengmechanismus vor dem Abwurf auf Hiroshima nicht getest werden musste - im Gegensatz zur Plutoniumbombe. Aufgrund der unterschiedlichen Größe der Bomben wurde die Uranbombe auf "Little Boy" und die über Nagasaki abgeworfene Plutoniumbombe auf "Fat Boy" getauft 105.
Der Reporter Laurence notierte als Augenzeuge des ersten Testes:

Der große Knall kam ungefähr hundert Sekunden nach dem großen Blitz - der erste Schrei einer neugeborenen Welt. (...) Wir alle sprangen hoch und klatschten in die Hände - erdgebundene Männer als Symbole einer neugeborenen Kraft." (Theweleit 1995a, S. 44)

Und derselbe Laurence beschrieb aus dem Flugzeug den Abwurf von "Fat Boy":

"Vor Schrecken erstarrt sahen wir, wie [eine riesige rote Feuersäule] wie ein Meteor aus der Erde statt aus dem Weltraum emporstieg und im Emporsteigen durch die weißen Wolken immer lebendiger wurde. Es war ein lebendes Ding, eine neue Art Lebewesen, das dort gerade vor unseren ungläubigen Augen geboren wurde." (Easlea 1986, S. 131)

Die Parallelisierung der Freisetzung gewaltiger Nuklearkräfte mit einem wirklichen Geburtsvorgang "Ist in der Tat umwerfend" (Theweleit 1995a, S.43). Das neue Leben, das ohne Frauen hervorgebracht wird, ist die Kraft, das Leben auf der Erde zu töten. Die Wissenschaftler des US-Atombombenprojekts schufen eine neue Welt, die der ,Natur" und "Herkömmlichen" Geburten überlegen war. "Wir haben seitdem tatsächlich eine neue Erde (diejenige, die der Regierungs- oder Militärmann kaputtmachen kann)" (Theweleit 1995a, S. 44) 106.

Der Code-Name für das amerikanische Atombombenprogramm war nicht zufällig "Trinity". Laut seinen Biografen wollte Oppenheimer 107 mit dem Hindu-Konzept der Dreieinigkeit von Brahma, Vischnu und Shiva die Einheit von Schöpfung, Bewahrung und Zerstörung im Bombenprojekt betonen. Zur Begründung würde auch das christliche Konzept der Dreifaltigkeit taugen. Die Dreiheit Vater, Sohn und Heiliger Geist war seit dem Mittelalter als Einheit der drei Weltzeitalter gedacht worden: Alttestamentarische Zeit des unerbittlichen Gesetzes, neutestamentarische Zeit der Hoffnung auf Gnade und kommendes Zeitalter des Geistes jenseits von Schöpfung und Natur.
"In der Explosion der Bombe realisierte sich die Trinität von Gesetzmäßigkeit, vergegenständlichender Materialisation als Natur und deren Aufhebung im reinen Geist des Quantelns" (Brock 1998, S. 223).

Bombenarsenal aus dem 1. WeltkriegDie Aneignung göttlicher Kräfte durch das "Eindringen in die Geheimnisse der Natur" (Easlea 1986 über Francis Bacon, S. 36) gelingt im Trinity-Projekt. Die von Francis Bacon um 1600 geforderte "Wahrhaft männliche Geburt der Zeit" (ebd.) hat mit einem großen Knall - heller als tausend Sonnen- stattgefunden.
Dabei tritt der blinde Fleck der modernen Wissenschaft klar zutage: Das Ausblenden des langfristigen Zeithorizonts. Für eine christlich-theologische Weltsicht war ein offenbartes Ziel der Geschichte vorgegeben, menschliches Dasein wurde mit dem Verweis auf dieses zwar weit entfernte aber für jeden erreichbare Ziel annehmbar. Für die moderne Wissenschaft (ab dem 16./17.Jhdt.) war der Bezugspunkt dagegen eine "Vorgegebene" Natur, aus deren Evolution die menschliche Verfasstheit verstanden und verändert werden konnte. Diese Naturbemächtigung durch Wissenschaft hatte (und hat) einen kurz- bis mittelfristigen Zeithorizont, das Programm heißt Fortschritt. Stellt sich die Frage nach dem Wohin (bzw. Wozu) zu vehement, wird also durch eine Technik wie die Atomspalterei der eingeschränkte Zeithorizont überschritten, dann wird "das Wissenschaftstreiben zur Theologie" (Brock 1998, S. 221). Die wissenschaftlichen "Titanen des Geistes" (ebd., S. 224), Heisenberg und Kollegen (bis zu Hawking...), werden von Naturwissenschaft und Theologie gleichermaßen als Autoritäten angesehen. Es ist kein Zufall, dass sich religiöse und wissenschaftliche Weltauslegung in der Sicht einer Randfigur der weltpolitischen Szene Anfang der 80er Jahre wiederfinden. Der damalige US-Außenminister Adams erklärte, dass atomar bestückte Langstreckenraketen kein Teufelszeug seien (schließlich besaßen die USA ja ein paar davon), sondern Instrumente der Heilsgeschichte, Herbeiführung der Apokalypse als Voraussetzung zur Wiederkehr Christi und dem Einzug ins Reich Gottes. Aus christlicher Sicht sei also nichts gegen einen Atomkrieg einzuwenden (vgl. Brock 1998, S. 222f). Die Wiederkehr der Apokalypse als Auslegungsmuster einer säkularisierten technischen Gegenwart (um 1980) überrascht nicht, wenn man die Verbindungen zwischen Religion und Wissenschaft betrachtet. Geht es christlichem Denken um die Entwertung des realen Lebens zugunsten eines jenseitigen, so geht es der Wissenschaft um eine Veränderung der ,natürlichen" Welt, ebenfalls unter der Prämisse der potentiellen Aufhebung durch Zerstörung. Soll heißen: Die technisch machbare "Erdoberflächenverwüstung" kann tatsächlich als die biblische Apokalypse gelesen werden, weil vergleichbare Antriebe dahinterstehen. Der Unterschied, dass die biblische Apokalypse durch Gott betrieben wird, die atomartechnische hingegen durch Menschen, fällt nicht weiter ins Gewicht. Denn erstens hat sich menschliche Kompetenz ehemals göttliche Zuständigkeit angeeignet, ersetzen Wissenschaft und Technik als sinnstiftende Instanzen in weiten Bereichen die Religion, und zweitens macht sich das metaphysische Prinzip als behauptetes schicksalshaftes Verhängnis, als Chancenlosigkeit, der nahenden Apokalypse zu entrinnen, ohnedies wieder bemerkbar 108.

 




Fußnoten:

100. In zahlreichen Dokumenten sprechen die Techniker von ihren Erfindungen als von ihren Kindern, verstehen und benennen also selbst den Produktionsvorgang als einen Geburtsvorgang.
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101. "seit 1940 versammelten die Engländer in Bletchey Park um Alan Turing ein Spezialistenteam, dessen Auftrag darin bestand, den Kode der deutschen Kodierungsmaschine "Enigma' zu knacken. Der Erfolg dieser Operation, der sich der Rechenmaschine ,Colossus' verdankte, sollte sowohl den Weg zum Sieg der Alliierten ebnen als auch den in das Zeitalter der Computerrevolution." (Virilio 1994, S. 176)
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102. Titel der deutschen Übersetzung: "Väter der Vernichtung".
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103. Easlea erwähnt, dass "die Offiziere, welche die Botschaft entschlüsselten, glaubten [...], der siebenundsiebzigjährige Stimson sei tatsächlich Vater geworden und die Konferenz solle, zur entsprechenden Feier einer derartigen Virilität, für einen Tag unterbrochen werden" (Easlea 1986, S. 114)
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104. Brock (1998) betont die Infantilität der Atomwissenschaftler, die wie Kindsköpfe die Geburtstage ihrer "Kinder" feiern: "Wenn die Herrscher der Kriegsmaschine Atomtests auf dem Bikini-Atoll mit einem Festessen feierten, dessen Dessert in Gestalt einer Atompilztorte gereicht wurde, verliert jeder Beobachter das Vertrauen in die Macht der Mächtigen, also in ihre Attitüde, selber die Ereignisse zu beherrschen, anstatt von ihnen, wie jedermann, beherrscht zu werden" (Brock 1998, S. 225).
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105. Der weibliche Beitrag zur Geburt der Atombombe ist ein symbolischer. Das Flugzeug mit der Hiroshimabombe an Bord hieß "Enola Gay", der Name der Mutter des Piloten (Easlea 1986, S. 129).
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106. Zum Unterschied zwischen Atomwaffen und Giftgas, das im 2.Weltkrieg eine alternative Waffe apokalyptischen Ausmasses gewesen wäre, aber nicht eingesetzt wurde:
"die Kernspaltung war eher ein 'faustischer' Akt der Erkenntnis als ein zwielichtig-dubioses Geschäft wie das Experimentieren mit Menschen und Tieren in den Labors der Giftgaschemiker. Ein überheller Blitz, eine riesige Explosion und der Atompilz sind Sensationen, die einer propagandistischen Interpretation in Kategorien des Grandios-Schrecklichen eher offenstehen als die lähmend-stummen Formen, in denen sich der Angriff einer Giftgaswolke vollzieht. Die Atombombe stinkt nicht, sie ist für den, der sie abwirft, ein klinisch sauberes und präzises Instrument spezifisch moderner, weißer Gewalt. Außerdem erscheint ihr Einsatz so, als habe man nur die bereits bekannten Bomben weiterentwickelt. In Wahrheit aber wird durch das neue Vernichtungsmittel das klassische Kriegsbild endgültig gesprengt" (Müller 1984, S. 116).
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107. Brock nennt ihn kommentarlos "Vater der Atombombe".
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108. Vgl. etwa den Begriff der ,Rüstungsspirale", die sich von selbst weiterschraubt, die von niemand angetrieben scheint, von niemand kontrollierbar. Das Prinzip heißt Selbsterzeugung.
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1. kingdom come 2. the curtain has fallen 3. join the great majority 4. give up the ghost 5. be given a gentle push 6. the great adventure Literaturverzeichnis samt Linx Inhaltsverzeichnis und Gästebuch
life is a highly overrated phenomenon
Zur Theorie des männlichen Weltuntergangs bei Ulrich Horstmann

Diplomarbeit von Thomas Jöchler © 2000