5.1 Die Bombe
BLOW UP
I vi 1. (be exploded) in die Luft fliegen; (bomb) explodieren.
2. (lit, fig: gale, crisis, row) ausbrechen.
3. (fig inf: person) explodieren (inf).
II vt sep 1. mine, bridge, person in die Luft jagen, hochjagen.
2. tyre, balloon aufblasen. he was all ~n ~ with pride
er platzt fast vor Stolz
3. photo vergrößern.
4. (fig: magnify, exaggerate) event aufbauschen (into zu)
(Schulwörterbuch Englisch-Deutsch, PONS 1986) |
Im apokalyptischen Diskurs der 1980er Jahre steht als Mittel der
Herstellung des Weltunterganges das nukleare Bombenarsenal im Zentrum.
Schon die Tatsache, dass oft nur von der Bombe die Rede ist, unterstreicht
die besondere Position der Atombomben. Rund um die Erfindung der
Atombombentechnolgie und v.a. bei den ersten A-Bombentests finden
sich etliche Aussagen von Wissenschaftlern, Technikern und Politikern,
die das Phänomen der nuklearen Explosionen mit Geburtsvorgängen
bezeichnen. Fathering the Unthinkable lautet der diesen Sachverhalt treffend bezeichnende Originaltitel
eines Buches von Easlea (1986), in dem die Hervorbringungstätigkeit
männlicher Wissenschaft bei der Erfindung der Atombombe anhand
der reichen Geburtsmetaphorik untersucht wird:
Zwei
Tage nach dem ersten erfolgreichen Test einer Plutoniumbombe in
Los Alamos erhielt US-Kriegsminister Stimson, der gerade an der
Potsdamer Konferenz der "Großen Drei" teilnahm, ein verschlüsseltes
Telegramm mit dem Wortlaut: "doktor soeben zurückgekommen.
Äußerst zufrieden. Meint, der Kleine sei bestimmt ebenso
kräftig wie sein großer Bruder. Das Leuchten in seinen
Augen sei weithin zu sehen und sein Geschrei bis zu meinem Gehöft
zu hören gewesen" (Easlea, S. 114) . ,Babies satisfactorily born" lautete die Information, die
Churchill bekam (Easlea 1986, S. 121) .
Der
"große Bruder" ist die Uranbombe, die aufgrund eines unkomplizierteren
Sprengmechanismus vor dem Abwurf auf Hiroshima nicht getest werden
musste - im Gegensatz zur Plutoniumbombe. Aufgrund der unterschiedlichen
Größe der Bomben wurde die Uranbombe auf "Little Boy"
und die über Nagasaki abgeworfene Plutoniumbombe auf "Fat Boy"
getauft .
Der Reporter Laurence notierte als Augenzeuge des ersten Testes:
Der große Knall kam ungefähr hundert Sekunden
nach dem großen Blitz - der erste Schrei einer neugeborenen
Welt. (...) Wir alle sprangen hoch und klatschten in die Hände
- erdgebundene Männer als Symbole einer neugeborenen Kraft."
(Theweleit 1995a, S. 44)
Und derselbe Laurence beschrieb aus dem Flugzeug den Abwurf von
"Fat Boy":
"Vor Schrecken erstarrt sahen wir, wie [eine riesige
rote Feuersäule] wie ein Meteor aus der Erde statt aus dem
Weltraum emporstieg und im Emporsteigen durch die weißen Wolken
immer lebendiger wurde. Es war ein lebendes Ding, eine neue Art
Lebewesen, das dort gerade vor unseren ungläubigen Augen geboren
wurde." (Easlea 1986, S. 131)
Die Parallelisierung der Freisetzung gewaltiger Nuklearkräfte
mit einem wirklichen Geburtsvorgang "Ist in der Tat umwerfend" (Theweleit
1995a, S.43). Das neue Leben, das ohne Frauen hervorgebracht wird,
ist die Kraft, das Leben auf der Erde zu töten. Die Wissenschaftler
des US-Atombombenprojekts schufen eine neue Welt, die der ,Natur"
und "Herkömmlichen" Geburten überlegen war. "Wir haben
seitdem tatsächlich eine neue Erde (diejenige, die der Regierungs-
oder Militärmann kaputtmachen kann)" (Theweleit 1995a, S. 44)
.
Der Code-Name für das amerikanische Atombombenprogramm war
nicht zufällig "Trinity". Laut seinen Biografen wollte Oppenheimer
mit dem Hindu-Konzept
der Dreieinigkeit von Brahma, Vischnu und Shiva die Einheit von
Schöpfung, Bewahrung und Zerstörung im Bombenprojekt betonen.
Zur Begründung würde auch das christliche Konzept der
Dreifaltigkeit taugen. Die Dreiheit Vater, Sohn und Heiliger Geist
war seit dem Mittelalter als Einheit der drei Weltzeitalter gedacht
worden: Alttestamentarische Zeit des unerbittlichen Gesetzes, neutestamentarische
Zeit der Hoffnung auf Gnade und kommendes Zeitalter des Geistes
jenseits von Schöpfung und Natur.
"In der Explosion der Bombe realisierte sich die Trinität von
Gesetzmäßigkeit, vergegenständlichender Materialisation
als Natur und deren Aufhebung im reinen Geist des Quantelns" (Brock
1998, S. 223).
Die
Aneignung göttlicher Kräfte durch das "Eindringen in die
Geheimnisse der Natur" (Easlea 1986 über Francis Bacon, S.
36) gelingt im Trinity-Projekt. Die von Francis Bacon um 1600 geforderte
"Wahrhaft männliche Geburt der Zeit" (ebd.) hat mit einem großen
Knall - heller als tausend Sonnen- stattgefunden.
Dabei tritt der blinde Fleck der modernen Wissenschaft klar zutage:
Das Ausblenden des langfristigen Zeithorizonts. Für eine christlich-theologische
Weltsicht war ein offenbartes Ziel der Geschichte vorgegeben, menschliches
Dasein wurde mit dem Verweis auf dieses zwar weit entfernte aber
für jeden erreichbare Ziel annehmbar. Für die moderne
Wissenschaft (ab dem 16./17.Jhdt.) war der Bezugspunkt dagegen eine
"Vorgegebene" Natur, aus deren Evolution die menschliche Verfasstheit
verstanden und verändert werden konnte. Diese Naturbemächtigung
durch Wissenschaft hatte (und hat) einen kurz- bis mittelfristigen
Zeithorizont, das Programm heißt Fortschritt. Stellt sich
die Frage nach dem Wohin (bzw. Wozu) zu vehement, wird also durch
eine Technik wie die Atomspalterei der eingeschränkte Zeithorizont
überschritten, dann wird "das Wissenschaftstreiben zur Theologie"
(Brock 1998, S. 221). Die wissenschaftlichen "Titanen des Geistes"
(ebd., S. 224), Heisenberg und Kollegen (bis zu Hawking...), werden
von Naturwissenschaft und Theologie gleichermaßen als Autoritäten
angesehen. Es ist kein Zufall, dass sich religiöse und wissenschaftliche
Weltauslegung in der Sicht einer Randfigur der weltpolitischen Szene
Anfang der 80er Jahre wiederfinden. Der damalige US-Außenminister
Adams erklärte, dass atomar bestückte Langstreckenraketen
kein Teufelszeug seien (schließlich besaßen die USA
ja ein paar davon), sondern Instrumente der Heilsgeschichte, Herbeiführung
der Apokalypse als Voraussetzung zur Wiederkehr Christi und dem
Einzug ins Reich Gottes. Aus christlicher Sicht sei also nichts
gegen einen Atomkrieg einzuwenden (vgl. Brock 1998, S. 222f). Die
Wiederkehr der Apokalypse als Auslegungsmuster einer säkularisierten
technischen Gegenwart (um 1980) überrascht nicht, wenn man
die Verbindungen zwischen Religion und Wissenschaft betrachtet.
Geht es christlichem Denken um die Entwertung des realen Lebens
zugunsten eines jenseitigen, so geht es der Wissenschaft um eine
Veränderung der ,natürlichen" Welt, ebenfalls unter der
Prämisse der potentiellen Aufhebung durch Zerstörung.
Soll heißen: Die technisch machbare "Erdoberflächenverwüstung"
kann tatsächlich als die biblische Apokalypse gelesen werden,
weil vergleichbare Antriebe dahinterstehen. Der Unterschied, dass
die biblische Apokalypse durch Gott betrieben wird, die atomartechnische
hingegen durch Menschen, fällt nicht weiter ins Gewicht. Denn
erstens hat sich menschliche Kompetenz ehemals göttliche Zuständigkeit
angeeignet, ersetzen Wissenschaft und Technik als sinnstiftende
Instanzen in weiten Bereichen die Religion, und zweitens macht sich
das metaphysische Prinzip als behauptetes schicksalshaftes Verhängnis,
als Chancenlosigkeit, der nahenden Apokalypse zu entrinnen, ohnedies
wieder bemerkbar .
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