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Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht die
Beschäftigung mit dem apokalyptischen Denken
Ulrich Horstmanns. Vor der konkreten
Auseinandersetzung damit gilt es zwei Bereiche zu
erläutern und zueinander in Beziehung zu
setzen. Zum einen ist dies die Kategorie
Apokalypse mit ihren geschichts- und
religionsphilosophischen Implikationen, zum
anderen ist es die Erscheinungszeit des zentralen
apokalyptischen Buchs Horstmanns Das Untier.
Beiden Bereichen kommt zum Verständnis des
Horstmannschen Denkens eine große Bedeutung
zu. Zur Kategorie Apokalypse gibt es sehr umfangreiche Literatur. Ich werde im folgenden keinen umfassenden Überblick anstrengen, sondern auf einen kurzen Aufsatz von Deleuze zur Lektüre der biblischen Apokalypse durch D.H.Lawrence eingehen 1 . Der als Vorwort einer französischen Ausgabe von Lawrence' Apokalypse-Buch geschriebene Text gibt eine Interpretation der Lawrenceschen Interpretation der Apokalypse des Johannes von Patmos. Der Lawrencesche Text unternimmt die Freilegung der verschiedenen Textschichten der Apokalypse, um das spezifisch Besondere des letzten und (wie Lawrence meint) wirkungsvollsten Buchs des Neuen Testaments zu ergründen. Als entscheidenden Unterschied des klassischen
apokalyptischen Textes des Abendlands zu
früheren apokalyptischen Elementen bei den
jüdischen Propheten ortet Lawrence den
qualitativ anderen Zeithorizont, der dem
christlichen Bibeltext zugrunde liegt. Lawrence
nennt als ein zentrales Kriterium des
jüdischen Zeitverständnisses "die
aufgeschobene Bestimmung" (Lawrence, zit. bei
Deleuze 1980, S. 105 2
): Das auserwählte Volk ist in seinem
imperialen Anspruch gescheitert und zieht sich
auf eine Warteposition zurück. Der
nichtirdische Triumph wird mit der Ankunft des
Messias stattfinden, dann wird eine neue Zeit
anbrechen, deren Ausgestaltung offen ist. "sie schauten den nichtirdischen Triumph der Auserwählten. Um das aber zu können, brauchten sie umfassendste Erkenntnis; Anfang und Ende mußten ihnen bekannt sein. Vor ihnen hatte kein Mensch das Ende der Schöpfung erkennen wollen; es genügte, daß sie da war und ewig bestehen würde. Jetzt aber mußten die Apokalyptiker das Ende schauen. Sie wurden kosmisch." Diese Wendung zum Kosmischen wird in der Johannes-Apokalypse weiter vorangetrieben. Ihr dient die Hinwendung zu kosmischen Geschehen nicht mehr nur als Mittel, um die Autorität einer Sicht des Endes zu erlangen, sondern der Kosmos wird im biblischen Text deshalb an so vielen Stellen aufgerufen, damit eine endgültige Vernichtung der Welt und die Errichtung des himmlischen Jerusalem möglich wird. Lawrence zeigt, wie sich das Christentum in Ermangelung eines eigenen Begriffs von Welt aus dem Heidentum eine kosmische Vorstellung von Welt entlehnt, um in einer letzten Erinnerung an diese Welt zugleich deren halluzinatorische Vernichtung durchzuführen (vgl. Deleuze, S. 112). Somit zeigt sich die Apokalypse letztlich als ein absolutes Herrschaftsinstrument, und dient zur Etablierung einer neuen Form umfassender Macht. Mit dem absoluten Vernichtungsanspruch der Apokalypse zeigt sich eine Form von Macht, die nicht nur die bisherige Herrschaft (also etwa das römische Reich) ersetzen will, sondern auf eine völlige Änderung des zu Beherrschenden abzielt. Die Vision am Ende des biblischen Textes zeigt mit dem Neuen Jerusalem eine neue Welt, die schon Lawrence (1932, S. 246) als das eigentlich Katastrophale der Apokalypse begriff, und die für Deleuze die spezifische zeitgenössische Virulenz ausmacht: "die Modernität der Apokalypse liegt nicht in den angekündigten Katastrophen, sondern in der programmierten Selbstverherrlichung, der ruhmvollen Errichtung des Neuen Jerusalem, der wahnsinnigen Errichtung einer letzten juridischen und moralischen Herrschaft" (Deleuze, S.114). Die Modernität der Apokalypse zeigte sich
anfangs der 1980er Jahre in verstärkter
Weise, wenn auch nicht unbedingt in dem Sinne des
Deleuzeschen Zitats. Die große Konjunktur,
die die religionstheoretische Kategorie
Apokalypse in den westlichen Industriestaaten
erlebte, schuldete sich einer breiten
Untergangsstimmung. Die Angst vor einem globalen
Atomkrieg zwischen den damaligen
Supermächten USA und UdSSR, der angesichts
einer sich scheinbar endlos weiterdrehenden
Rüstungsspirale unausweichlich schien,
beherrschte über weite Strecken nicht nur
die Politik sondern auch die gesellschaftliche
Stimmungslage. 3
Ich kann in dieser Arbeit keinen umfassenden historischen Überblick über die politische und gesellschaftliche Situation der 1980er Jahre geben, ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass die Horstmannsche Theorie vor dem Hintergrund eines historischen Rahmens gesehen werden sollte. Wenn die Fixierung geschichtlicher Situationen auf ein Datum auch sehr problematisch ist, so möchte ich doch v.a. ein Datum gewissermassen als einen Ankerpunkt festhalten, um den herum sich diverse Diskurse gruppieren lassen. Dieses Datum ist der 22.11.1983, an dem der mehrheitlich konservative deutsche Bundestag die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenrakten mit Nuklearsprengkörpern absegnete, was den Natodoppelbeschluss von 1979 exekutierte, der von der BRD bereits unter einer SPD-Regierung mitgetragen worden war. 4 Dieses Datum markierte im Bewusstsein etlicher Zeitgenossen eine markante Zäsur, gleichsam einen apokalyptischen Gerichtstag 5 . Die Wahrscheinlichkeit einer atomaren Auseinandersetzung auf deutschem Boden schien für viele nach dieser Entscheidung extrem hoch. Die Frist bis zum Ende war massiv geschrumpft, die letzten Tage der Menschheit waren mit dem Eintreffen der Raketen in Deutschland gekommen. In dieser offensichtlichen Niederlage der Friedensbewegung korrespondierte das Erleben persönlicher Ohnmacht bei Aktivisten mit der politischen Ohnmacht der sogenannten "Entscheidungsträger", die vor "Sachzwängen" kapitulierten. Der Friede war zumindest laut Eingenaussagen bei allen Seiten Handlungsziel: "der Pazifismus ist offizielle Staatsdoktrin geworden, ohne daß der Krieg de facto verabschiedet worden wäre" (Müller 1984, S.126) 6 .
Der Krieg verabschiedete sich also de iure, der Atomkrieg wurde als nicht führbarer, d.h. als für niemanden überlebbarer Krieg vorgestellt. Die Wahrscheinlichkeit einer Apokalypse litt unter dieser allgemeinen Erkenntnis 7 allerdings in keiner Weise. Dank der sogenannten Logik des Gleichgewichts des Schreckens und weiterhin intakter Kriegsmotive ging das Wettrüsten unvermindert weiter. Führte bereits diese abstruse Rüstungslogik (im Namen der Friedenssicherung) zum Verfall des Vertrauens in die Kompetenz der politischen Klasse, so war ein weiteres starkes Motiv für den Glauben an den nahenden Weltuntergang die Eigendynamik technokratischer Prozesse. Dass die Atomenergie eine buchstäblich unberechenbare Angelegenheit war, zeigte sich spätestens 1986 mit dem Super-GAU in Tschernobyl. Das Motiv des Unfalls, der, von niemanden verursacht, aus der Autonomie von Prozessen heraus stattfand, ergänzte das klassische Kriegsmodell 8 . Das intensiv diskutierte Thema der
Umweltzerstörung trug in den 1980ern
ebenfalls dazu bei, dass das Eintreten der
Apokalypse als realistische Variante erschien.
Die moralische Entwertung der Gegenwart, die
durch den Vorwurf der Zerstörung des
Planeten (Waldsterben, Giftgaswolke in Bhopal...)
erfolgte, führte zu einem apokalyptischen
Denkschema in der Ökologiebewegung. Der
Aufruf zur radikalen Umkehr wurde transportiert
mit der Vorstellung des drohenden völligen
Kollaps des Ökosystems, sprich eines
Weltuntergangs. 1989 ereignete sich - anders als vorgestellt - nicht der Untergang der ganzen Welt, aber immerhin der zweiten Welt. Die von US-Präsident Bush proklamierte Neue Weltordnungwar somit ein One World Modell, das von seinen Proponenten durchaus als irdisches Paradies vorgestellt werden konnte. Das Neue Jerusalem, das nach einem Atomkrieg nicht vorstellbar schien, trat dank einer anders verlaufenen Apokalypse ein. 10 Dass die Apokalypse gar nicht bzw. nicht als
Atomkrieg stattfindet, war schon in den 1980ern
diskursiver Gegenstand. Ich möchte auf
diesen Diskurs im folgenden eingehen, weil er
für die Erhellung Horstmannschen Denkens
ebenso wichtig wie die zeitgeschichtliche
Verankerung ist. "unser Leben wird nicht durch die direkte Bedrohung atomarer Vernichtung paralysiert, sondern durch die Dissuasion leukämisiert. Grund dieser Dissuasion ist die Ausschließung des realen, atomaren Infernos. Es ist schon von vornherein als die Eventualität des Realen in einem System von Zeichen ausgeschlossen." (Baudrillard 1978, S.52)
Dissuasion meint eine Gegenrede, ein Abwiegeln;
konkret interpretiere ich Baudrillard so, dass er
behauptet, die Wirkung des nuklearen Diskurses
bestehe nicht in dem realen Szenario der
Katastrophe, sondern in dem Diskurs, der
darüber geführt wird. Die Apokalypse
geschieht nicht als thermonukleares Inferno
sondern als Diskurs darüber: Der atomare
Krieg findet wie der trojanische nicht statt. Das
Risiko der nuklearen Pulverisierung dient
angesichts der Verfeinerung der Waffensysteme nur
als Vorwand, um ein weltweites Sicherheits-,
Sperr- und Kontrollsystem einzurichten
(Baudrillard 1978, S.53). Derrida zitiert in diesem Zusammenhang Freuds
frühe Einsicht, dass es keinen Unterschied
zwischen Realität und affektgeladener
Fiktion im Unbewussten gibt: "dann drittens die
sichere Einsicht, daß es im
Unbewußten ein Realitätszeichen nicht
gibt, so daß man die Wahrheit und die mit
Affekt besetzte Fiktion nicht unterscheiden kann"
(Brief an Fließ vom 21.9.97, zit. bei
Derrida 1985, S.105). Aus der Sicht des Jahres 2000 erhält eine Meinung wie die folgende eine gegenüber ihrem Zeitkontext andere Bedeutung: "unser Zeitalter ist postapokalyptisch, insofern auch die atomare Apokalypse immer schon stattgefunden hat - in den Texten, den Medien, den Simulationszentren etc., die voll sind von ihrer sinnlich anschaulichen Präsenz. Als reale Zündung aber der Overkill-Arsenale findet sie nicht statt, weil keine Szene und kein Publikum mehr bliebe, wo und für das sie stattfände."
Unser heutiges Zeitalter hat mit dem Termin des Millenniumswechsels das letzte potentiell apokalyptische Datum erlebt und ist somit jenseits einer Fragestellung nach realer oder simulierter Apokalypse. Die Apokalypse ist kein Thema mehr. Es hat sie als Thema gegeben, aber sie gehört der Vergangenheit an. Es gibt im Jahr 2000 kein Bewusstsein des drohenden kollektiven Tods der Menschheit mehr, wie es etwa Ebeling 1984 im Vorwort zu einer Neuauflage des Sammelbands Der Tod in der Moderne formulierte: "Es ist nun jedermann erkennbar, daß der jetzt maßstäbliche Tod derjenige der menschlichen Gattung selbst ist. Zum reflektierten 'Lebensglück' gehört es gerade, sich für diesen Tod mitverantwortlich zu wissen. Einen besonderen Zugang zur veränderten Sichtweise der Apokalypse gegen Ende des 20. Jahrhunderts erlaubt der Comic Watchmen (Moore/Gibbons 1987) 12 : "This is the time - these are the feelings" lautet dort der Werbeslogan für das neue Parfum Millennium. Das entsprechende Werbeplakat für den neuen Duft, der das Vorgängermodell Nostalgia ablöst, zeigt im Profil ein blondes sportliches Paar mit zielgerichtetem Blick geradewegs in die Zukunft. Der Hintergrund wird durch eine grelle Lichtquelle bestrahlt - eine Reminiszenz an die kleine Apokalypse, die in der Chronologie des Comic kurz zuvor stattgefunden hatte. 13 Die Zeit, die gekommen ist, ist das milleniaristisch verstandene irdische Paradies, das im Comic auf einer One-World-Order beruht. Der Gegensatz zwischen USA und UdSSR wird in der Handlung des Comic durch einen fingierten außerirdischen Angriff auf New York, bei dem die halbe Stadt zerstört wird, überwunden. Der Initiator dieser kleinen Apokalypse ist der Superheld Ozymandias, der auch Eigentümer des Konzerns ist, welcher das Parfum vertreibt. Der Wechsel von Nostalgia zu Millennium markiert dabei - in der strategischen Planung des vermeintlichen Weltenlenkers Ozymandias, den Anbruch des irdischen Edens, das Ende jeder Verpflichtung einer Vergangenheit gegenüber, das Allgegenwärtigwerden von Zukunft. 14 Der Comic weiß präzise um das
apokalyptische Zeitschema, das mit der
Dreiteilung in Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft, die das lineare Zeitdenken prägt,
bricht und einen zeitlosen Raum etabliert, der
jenseits der herkömmlichen Zeitvorstellung
zu liegen hat.
Dieser veränderte Status eines ehemals menschlichen Lebens benennt sehr genau, was den qualitativen Unterschied zwischen der 1980er Apokalypse und des Sichbefindens im Millennium ausmacht. Nicht die kupierte Apokalypse, das um das Jenseits beschnittene Weltuntergangsszenario des atomaren Infernos ist Realität geworden und nicht darin steckte die Bedrohung und der Schrecken, sondern im Eintreten in das Jenseits auf Erden. Das globale Dorf, zu dem die Erde geworden sein soll, hat in der Tat tiefere Gräben als die einst angeblich so klar abgetrennten Blöcke von Macht- und Einflusssphären im Kalten Krieg. Wir leben im Millennium, im Danach, und erst jetzt ist klar, dass es kein anderes Jenseits mehr geben kann, als das, in dem wir uns schon befinden. |
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life is a highly overrated phenomenon Zur Theorie des männlichen Weltuntergangs bei Ulrich Horstmann Diplomarbeit von Thomas Jöchler © 2000 |