1. kingdom come
2. the curtain has fallen
3. join the great majority
4. give up the ghost
life is a highly overrated phenomenon
5. be given a gentle push
6. the great adventure
Literaturverzeichnis samt Linx
Inhaltsverzeichnis und Gästebuch



1. kingdom come -
Die Apokalypse: Grundzüge einer geschichtsphilosophischen Kategorie

 


"Die Offenbarung des Johannes im sogenannten Neuen Testament ist die Mutter der Geschichtstheologie und die Großmutter der modernen Geschichtsteleologie."
Claus-Ekkehard Bärsch (S. 45)

Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht die Beschäftigung mit dem apokalyptischen Denken Ulrich Horstmanns. Vor der konkreten Auseinandersetzung damit gilt es zwei Bereiche zu erläutern und zueinander in Beziehung zu setzen. Zum einen ist dies die Kategorie Apokalypse mit ihren geschichts- und religionsphilosophischen Implikationen, zum anderen ist es die Erscheinungszeit des zentralen apokalyptischen Buchs Horstmanns Das Untier. Beiden Bereichen kommt zum Verständnis des Horstmannschen Denkens eine große Bedeutung zu.

 

Zur Kategorie Apokalypse gibt es sehr umfangreiche Literatur. Ich werde im folgenden keinen umfassenden Überblick anstrengen, sondern auf einen kurzen Aufsatz von Deleuze zur Lektüre der biblischen Apokalypse durch D.H.Lawrence eingehen 1 .





Der als Vorwort einer französischen Ausgabe von Lawrence' Apokalypse-Buch geschriebene Text gibt eine Interpretation der Lawrenceschen Interpretation der Apokalypse des Johannes von Patmos. Der Lawrencesche Text unternimmt die Freilegung der verschiedenen Textschichten der Apokalypse, um das spezifisch Besondere des letzten und (wie Lawrence meint) wirkungsvollsten Buchs des Neuen Testaments zu ergründen.

Als entscheidenden Unterschied des klassischen apokalyptischen Textes des Abendlands zu früheren apokalyptischen Elementen bei den jüdischen Propheten ortet Lawrence den qualitativ anderen Zeithorizont, der dem christlichen Bibeltext zugrunde liegt. Lawrence nennt als ein zentrales Kriterium des jüdischen Zeitverständnisses "die aufgeschobene Bestimmung" (Lawrence, zit. bei Deleuze 1980, S. 105 2 ):

Das auserwählte Volk ist in seinem imperialen Anspruch gescheitert und zieht sich auf eine Warteposition zurück. Der nichtirdische Triumph wird mit der Ankunft des Messias stattfinden, dann wird eine neue Zeit anbrechen, deren Ausgestaltung offen ist.
Im Gegensatz dazu ist die christliche Apokalypse bis ins letzte Detail ausgemalt und macht das Warten zum "gegenstand einer beispiellosen, manischen Programmierung" (Deleuze 1980, S.105), und geht damit weit über die jüdischen Propheten hinaus. "der kleine und der große Tod, die sieben Siegel, die sieben Trompeten, die sieben Kelche, die erste Auferstehung, die tausend Jahre, die zweite Auferstehung, das Jüngste Gericht, damit wird das Warten ausgefüllt und besetzt" (ebd). Das Christentum erwartet keine erste Ankunft, sondern die Wiederkehr Christi. Mit dem Tod Christi ist der Schwerpunkt der Erlösungsvision (als solche ist die Apokalypse zu verstehen, s. Vondung 1988, S. 11f) nicht mehr im Leben, sondern ist hinter das Leben, in ein Nach-Leben getreten. Für die christliche Theorie kommt im apokalyptischen Procedere der Messias nicht wie fürs jüdische Verständnis zum ersten Mal, sondern er kommt ein zweites Mal, und errichtet erst in diesem zweiten Anlauf sein endgültiges Imperium. Der Zeit bis zum Anbruch des Reichs Gottes ist für das christliche Verständnis gedehnter als für das jüdische, denn die christliche Vorstellung vom Danach ist präziser ausformuliert und eindeutiger auf ein Jenseits ausgerichtet. Das Diesseits wird in hohem Masse entwertet, und die Zeit bis zum Ende muss mit apokalyptischen Visionen gefüllt werden, die Bilder der jenseitigen Fülle anbieten.
Die Sehnsucht, das Ende und das Danach des Ende zu kennen, erklärt Lawrence mit dem gescheiterten irdischen Triumph des auserwählten Volkes. Die jüdischen Apokalyptiker arbeiteten nach der zweiten Zerstörung des Tempels in die Richtung eines nichtirdichen Triumphs der Auserwählten:

"sie schauten den nichtirdischen Triumph der Auserwählten. Um das aber zu können, brauchten sie umfassendste Erkenntnis; Anfang und Ende mußten ihnen bekannt sein. Vor ihnen hatte kein Mensch das Ende der Schöpfung erkennen wollen; es genügte, daß sie da war und ewig bestehen würde. Jetzt aber mußten die Apokalyptiker das Ende schauen. Sie wurden kosmisch."
(Lawrence 1932, S.113 f)

Diese Wendung zum Kosmischen wird in der Johannes-Apokalypse weiter vorangetrieben. Ihr dient die Hinwendung zu kosmischen Geschehen nicht mehr nur als Mittel, um die Autorität einer Sicht des Endes zu erlangen, sondern der Kosmos wird im biblischen Text deshalb an so vielen Stellen aufgerufen, damit eine endgültige Vernichtung der Welt und die Errichtung des himmlischen Jerusalem möglich wird. Lawrence zeigt, wie sich das Christentum in Ermangelung eines eigenen Begriffs von Welt aus dem Heidentum eine kosmische Vorstellung von Welt entlehnt, um in einer letzten Erinnerung an diese Welt zugleich deren halluzinatorische Vernichtung durchzuführen (vgl. Deleuze, S. 112). Somit zeigt sich die Apokalypse letztlich als ein absolutes Herrschaftsinstrument, und dient zur Etablierung einer neuen Form umfassender Macht. Mit dem absoluten Vernichtungsanspruch der Apokalypse zeigt sich eine Form von Macht, die nicht nur die bisherige Herrschaft (also etwa das römische Reich) ersetzen will, sondern auf eine völlige Änderung des zu Beherrschenden abzielt. Die Vision am Ende des biblischen Textes zeigt mit dem Neuen Jerusalem eine neue Welt, die schon Lawrence (1932, S. 246) als das eigentlich Katastrophale der Apokalypse begriff, und die für Deleuze die spezifische zeitgenössische Virulenz ausmacht:

"die Modernität der Apokalypse liegt nicht in den angekündigten Katastrophen, sondern in der programmierten Selbstverherrlichung, der ruhmvollen Errichtung des Neuen Jerusalem, der wahnsinnigen Errichtung einer letzten juridischen und moralischen Herrschaft" (Deleuze, S.114).


Die Modernität der Apokalypse zeigte sich anfangs der 1980er Jahre in verstärkter Weise, wenn auch nicht unbedingt in dem Sinne des Deleuzeschen Zitats. Die große Konjunktur, die die religionstheoretische Kategorie Apokalypse in den westlichen Industriestaaten erlebte, schuldete sich einer breiten Untergangsstimmung. Die Angst vor einem globalen Atomkrieg zwischen den damaligen Supermächten USA und UdSSR, der angesichts einer sich scheinbar endlos weiterdrehenden Rüstungsspirale unausweichlich schien, beherrschte über weite Strecken nicht nur die Politik sondern auch die gesellschaftliche Stimmungslage. 3

Ich kann in dieser Arbeit keinen umfassenden historischen Überblick über die politische und gesellschaftliche Situation der 1980er Jahre geben, ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass die Horstmannsche Theorie vor dem Hintergrund eines historischen Rahmens gesehen werden sollte. Wenn die Fixierung geschichtlicher Situationen auf ein Datum auch sehr problematisch ist, so möchte ich doch v.a. ein Datum gewissermassen als einen Ankerpunkt festhalten, um den herum sich diverse Diskurse gruppieren lassen. Dieses Datum ist der 22.11.1983, an dem der mehrheitlich konservative deutsche Bundestag die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenrakten mit Nuklearsprengkörpern absegnete, was den Natodoppelbeschluss von 1979 exekutierte, der von der BRD bereits unter einer SPD-Regierung mitgetragen worden war. 4



Dieses Datum markierte im Bewusstsein etlicher Zeitgenossen eine markante Zäsur, gleichsam einen apokalyptischen Gerichtstag 5 . Die Wahrscheinlichkeit einer atomaren Auseinandersetzung auf deutschem Boden schien für viele nach dieser Entscheidung extrem hoch. Die Frist bis zum Ende war massiv geschrumpft, die letzten Tage der Menschheit waren mit dem Eintreffen der Raketen in Deutschland gekommen. In dieser offensichtlichen Niederlage der Friedensbewegung korrespondierte das Erleben persönlicher Ohnmacht bei Aktivisten mit der politischen Ohnmacht der sogenannten "Entscheidungsträger", die vor "Sachzwängen" kapitulierten. Der Friede war zumindest laut Eingenaussagen bei allen Seiten Handlungsziel: "der Pazifismus ist offizielle Staatsdoktrin geworden, ohne daß der Krieg de facto verabschiedet worden wäre" (Müller 1984, S.126) 6 .

Die Wahrscheinlichkeit einer atomaren Auseinandersetzung auf deutschem Boden


Der Krieg verabschiedete sich also de iure, der Atomkrieg wurde als nicht führbarer, d.h. als für niemanden überlebbarer Krieg vorgestellt. Die Wahrscheinlichkeit einer Apokalypse litt unter dieser allgemeinen Erkenntnis 7 allerdings in keiner Weise. Dank der sogenannten Logik des Gleichgewichts des Schreckens und weiterhin intakter Kriegsmotive ging das Wettrüsten unvermindert weiter. Führte bereits diese abstruse Rüstungslogik (im Namen der Friedenssicherung) zum Verfall des Vertrauens in die Kompetenz der politischen Klasse, so war ein weiteres starkes Motiv für den Glauben an den nahenden Weltuntergang die Eigendynamik technokratischer Prozesse. Dass die Atomenergie eine buchstäblich unberechenbare Angelegenheit war, zeigte sich spätestens 1986 mit dem Super-GAU in Tschernobyl. Das Motiv des Unfalls, der, von niemanden verursacht, aus der Autonomie von Prozessen heraus stattfand, ergänzte das klassische Kriegsmodell 8 .

Das intensiv diskutierte Thema der Umweltzerstörung trug in den 1980ern ebenfalls dazu bei, dass das Eintreten der Apokalypse als realistische Variante erschien. Die moralische Entwertung der Gegenwart, die durch den Vorwurf der Zerstörung des Planeten (Waldsterben, Giftgaswolke in Bhopal...) erfolgte, führte zu einem apokalyptischen Denkschema in der Ökologiebewegung. Der Aufruf zur radikalen Umkehr wurde transportiert mit der Vorstellung des drohenden völligen Kollaps des Ökosystems, sprich eines Weltuntergangs.

Ich will diese sozio-historische Skizze (aus der Warte des neuen Millenniums) abschließen, indem ich festhalte, dass in den 1980er Jahren die apokalyptische Rede nicht ausschließlich auf den Atomkrieg fixiert war. Die ultimative Katastrophe schien auch ohne Krieg unmittelbar bevorzustehen. Was gegen Ende des Jahrzehnts dann tatsächlich eintrat, war der Zusammenbruch des Ostblocks und das Ende des Kalten Krieges 9 .



1989 ereignete sich - anders als vorgestellt - nicht der Untergang der ganzen Welt, aber immerhin der zweiten Welt. Die von US-Präsident Bush proklamierte Neue Weltordnungwar somit ein One World Modell, das von seinen Proponenten durchaus als irdisches Paradies vorgestellt werden konnte. Das Neue Jerusalem, das nach einem Atomkrieg nicht vorstellbar schien, trat dank einer anders verlaufenen Apokalypse ein. 10



Dass die Apokalypse gar nicht bzw. nicht als Atomkrieg stattfindet, war schon in den 1980ern diskursiver Gegenstand. Ich möchte auf diesen Diskurs im folgenden eingehen, weil er für die Erhellung Horstmannschen Denkens ebenso wichtig wie die zeitgeschichtliche Verankerung ist.
Baudrillard schreibt 1978 in Die Agonie des Realen:

"unser Leben wird nicht durch die direkte Bedrohung atomarer Vernichtung paralysiert, sondern durch die Dissuasion leukämisiert. Grund dieser Dissuasion ist die Ausschließung des realen, atomaren Infernos. Es ist schon von vornherein als die Eventualität des Realen in einem System von Zeichen ausgeschlossen." (Baudrillard 1978, S.52)

Ich möchte das Theoriegebäude Baudrillards nicht betreten

Dissuasion meint eine Gegenrede, ein Abwiegeln; konkret interpretiere ich Baudrillard so, dass er behauptet, die Wirkung des nuklearen Diskurses bestehe nicht in dem realen Szenario der Katastrophe, sondern in dem Diskurs, der darüber geführt wird. Die Apokalypse geschieht nicht als thermonukleares Inferno sondern als Diskurs darüber: Der atomare Krieg findet wie der trojanische nicht statt. Das Risiko der nuklearen Pulverisierung dient angesichts der Verfeinerung der Waffensysteme nur als Vorwand, um ein weltweites Sicherheits-, Sperr- und Kontrollsystem einzurichten (Baudrillard 1978, S.53).
Ich möchte das Theoriegebäude Baudrillards nicht betreten, sondern sozusagen nur kurz durchs Fenster lugen, und Gedanken zur 1980er Apokalypse skizzieren. Die postmoderne Theorie der Zeichen und nicht vorhandener Bedeutung wird von ihrer Struktur her apokalyptisch verstanden (z.B. Vondung 1998). Die Auflösung des Realen erfolgt zugunsten diverser imaginärer Entitäten, inklusive dem Abgesang auf politische Interventionsmöglichkeiten. Über allem schwebt die Bombe, die die reale Existenz des jeweils individuellen Menschen entwertet, aus dem Leben ein Überleben auf Zeit macht ("das Leben ist nicht einmal mehr ein Handel, der es mit dem Tod aufnehmen könnte" Baudrillard 1978, S.52). Was real geschieht, hinter dem Gebanntsein durch die globale Todesdrohung, das gilt es zu erkennen. Der Apokalypse wird ihr absoluter Wahrheitsanspruch, der ein Machtanspruch ist, entzogen. "die 'Realität', sagen wir die allgemeine Institution des Atomzeitalters, entsteht durch die Einbildung, die ausgeht von einem Ereignis, das niemals geschehen ist (außer im Phantasma, was nicht nichts ist)" (Derrida 1985, S.105). Die real vorhandene Wirkung der Apokalypse kann nicht geleugnet werden, somit wird auch der Machtanspruch der Apokalypse bestätigt. Soll heißen: Wenn Baudrillard das globale Kontrollsystem verortet, dann entsteht aus der Absage an die Apokalypse kein Freiraum für irgendwelches Handeln. 11




Derrida zitiert in diesem Zusammenhang Freuds frühe Einsicht, dass es keinen Unterschied zwischen Realität und affektgeladener Fiktion im Unbewussten gibt: "dann drittens die sichere Einsicht, daß es im Unbewußten ein Realitätszeichen nicht gibt, so daß man die Wahrheit und die mit Affekt besetzte Fiktion nicht unterscheiden kann" (Brief an Fließ vom 21.9.97, zit. bei Derrida 1985, S.105).
Das heißt letztlich, dass durch die Apokalypse nicht Realität zum Verschwinden gebracht wird, sondern dass der Begriff von Realität ausgedehnt wird. Die Wargames der 1980er mit all ihren strategischen Überlegungen von Erst-, Zweit- und Letztschlägen, Rüstungswettläufen und Gleichgewichtsherstellungen können als realitätstranszendierend verstanden werden.

Aus der Sicht des Jahres 2000 erhält eine Meinung wie die folgende eine gegenüber ihrem Zeitkontext andere Bedeutung:

"unser Zeitalter ist postapokalyptisch, insofern auch die atomare Apokalypse immer schon stattgefunden hat - in den Texten, den Medien, den Simulationszentren etc., die voll sind von ihrer sinnlich anschaulichen Präsenz. Als reale Zündung aber der Overkill-Arsenale findet sie nicht statt, weil keine Szene und kein Publikum mehr bliebe, wo und für das sie stattfände."
(Wetzel in: Derrida 1985, S.138)
Die Apokalypse ist kein Thema mehr.

Unser heutiges Zeitalter hat mit dem Termin des Millenniumswechsels das letzte potentiell apokalyptische Datum erlebt und ist somit jenseits einer Fragestellung nach realer oder simulierter Apokalypse. Die Apokalypse ist kein Thema mehr. Es hat sie als Thema gegeben, aber sie gehört der Vergangenheit an. Es gibt im Jahr 2000 kein Bewusstsein des drohenden kollektiven Tods der Menschheit mehr, wie es etwa Ebeling 1984 im Vorwort zu einer Neuauflage des Sammelbands Der Tod in der Moderne formulierte:

"Es ist nun jedermann erkennbar, daß der jetzt maßstäbliche Tod derjenige der menschlichen Gattung selbst ist. Zum reflektierten 'Lebensglück' gehört es gerade, sich für diesen Tod mitverantwortlich zu wissen.
Bleibt gleichwohl auch jetzt die Analyse des individuellen und nicht-machbaren Todes unumgänglich, so fordert doch der Tod in der Moderne vor allem das Abstreifen des bloß Individuellen und statt dessen die Leistung der Identifikation unter Sterblichen: im Widerstand gegen den allgemeinen Tod." (Ebeling 1984, S.8)

Einen besonderen Zugang zur veränderten Sichtweise der Apokalypse gegen Ende des 20. Jahrhunderts erlaubt der Comic Watchmen (Moore/Gibbons 1987) 12 :



"This is the time - these are the feelings" lautet dort der Werbeslogan für das neue Parfum Millennium. Das entsprechende Werbeplakat für den neuen Duft, der das Vorgängermodell Nostalgia ablöst, zeigt im Profil ein blondes sportliches Paar mit zielgerichtetem Blick geradewegs in die Zukunft. Der Hintergrund wird durch eine grelle Lichtquelle bestrahlt - eine Reminiszenz an die kleine Apokalypse, die in der Chronologie des Comic kurz zuvor stattgefunden hatte. 13



Die Zeit, die gekommen ist, ist das milleniaristisch verstandene irdische Paradies, das im Comic auf einer One-World-Order beruht. Der Gegensatz zwischen USA und UdSSR wird in der Handlung des Comic durch einen fingierten außerirdischen Angriff auf New York, bei dem die halbe Stadt zerstört wird, überwunden. Der Initiator dieser kleinen Apokalypse ist der Superheld Ozymandias, der auch Eigentümer des Konzerns ist, welcher das Parfum vertreibt. Der Wechsel von Nostalgia zu Millennium markiert dabei - in der strategischen Planung des vermeintlichen Weltenlenkers Ozymandias, den Anbruch des irdischen Edens, das Ende jeder Verpflichtung einer Vergangenheit gegenüber, das Allgegenwärtigwerden von Zukunft. 14



Der Comic weiß präzise um das apokalyptische Zeitschema, das mit der Dreiteilung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die das lineare Zeitdenken prägt, bricht und einen zeitlosen Raum etabliert, der jenseits der herkömmlichen Zeitvorstellung zu liegen hat.
In einer Szene kurz vor Ende des Comic will der Weltfriedensstifter Ozymandias vom gottähnlichen Dr.Manhattan eine Absolution für sein Handeln erhalten, das Opfern mehrer Millionen Menschen abgesegnet bekommen: ,Jon, wait, before you leave ... (Dr. Manhattan will die Erde zugunsten einer weniger komplizierten Galaxie verlassen, um dort eventuell menschenähnliches Leben zu erschaffen) I did the right thing, didn't I? It all worked out in the end." - ,'In the End'? Nothing ends, Adrian. Nothing ever ends." Und bevor Ozymandias nachfragen kann, was damit gemeint sein könnte, ist der Allmächtige entschwebt. Jenseits des Verweises auf eine zyklische Weltsicht bringt dieser Dialog mit der Figur des Dr. Manhattan ganz zentral eine neue Wendung in die vom herkömmlichen Menschen betriebene Friedensarbeit. Der ehemalige Mensch Dr.Manhattan markiert einen transhumanen Raum, für ihn ist es unwesentlich, ob die Apokalypse im kleinen oder großen stattgefunden hat, ob Friede oder Krieg herrscht, ob die Welt eine Einheit darstellt oder nicht. Für ihn sind geschichtliche Kategorien belanglos, er kann alle Zeit simultan erleben, sich gleichzeitig in Vergangenheit und Zukunft aufhalten. Er erklärt sich und seinen Status einmal als den einer Puppe, die die Fäden sieht, an denen sie hängt (WM IX/5).

"In the End"?
Nothing ends, Adrian.
Nothing ever ends.


Dieser veränderte Status eines ehemals menschlichen Lebens benennt sehr genau, was den qualitativen Unterschied zwischen der 1980er Apokalypse und des Sichbefindens im Millennium ausmacht. Nicht die kupierte Apokalypse, das um das Jenseits beschnittene Weltuntergangsszenario des atomaren Infernos ist Realität geworden und nicht darin steckte die Bedrohung und der Schrecken, sondern im Eintreten in das Jenseits auf Erden. Das globale Dorf, zu dem die Erde geworden sein soll, hat in der Tat tiefere Gräben als die einst angeblich so klar abgetrennten Blöcke von Macht- und Einflusssphären im Kalten Krieg. Wir leben im Millennium, im Danach, und erst jetzt ist klar, dass es kein anderes Jenseits mehr geben kann, als das, in dem wir uns schon befinden.






Fußnoten



 
1Deleuze, Fanny / Deleuze, Gilles (1980): Nietzsche und Paulus. Lawrence und Johannes von Patmos; S.97-128 in: Gilles Deleuze, Kleine Schriften; Berlin (Merve).

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2Zur Textgestalt der Lawrenceschen Apokalypse ist folgendes anzumerken: Meines Wissens nach existiert bislang lediglich eine vollständige Übersetzung ins Deutsche, sie stammt von Goyert aus dem Jahre 1932. Ich verweise zumeist auf diese Ausgabe. Im Deleuze-Text sind zahlreiche Lawrencestellen zitiert, die nicht mit dem Wortlaut der Goyert-Ausgabe übereinstimmen. Die entscheidende Grundlage ist natürlich der englische Originaltext. Die verschiedenen Textvarianten der Stellen, die ich zitiere, liefern keine widersprüchlichen Ergebnisse, sondern widerspiegeln unterschiedliche Übersetzungsstandards. Die zitierte Stelle der Juden als dem "Volk der aufgeschobenen Bestimmung" (bei Deleuze) liest sich etwa bei Goyert (S. 113) als: "Volk, 'dessen Bestimmung sich erst später erfüllte'", und im engl. Original als ,postponed destiny".
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3Schneider (1984) illustriert die "sonnenfinsternis des kollektiven Bewußtseins" des Aufblühens apokalyptischer Erwartungen in den 80er Jahren des 20.Jhdts. mit einem Auszug aus dem Programm einer Tagung einer evangel. Bildungseinrichtung unter dem Titel "Freizeit in der Endzeit":
,Nach der Morgenandacht gibt es das Referat 'Treffpunkt Friedensmeditation - Ansatzpunkte für apokalyptische Ängste und Hoffnungen.' Ein theologischer Beitrag dieses Seminars lautet: 'Apokalyptisches Erbe - apokalyptische Gegenwart'. Pflichtlektüre für jeden Tagungsteilnehmer ist die 'Apokalypse des Johannes'" (Schneider 1984, S. 37).
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4Doppelbeschluss bedeutet: Aufrüstung der NATO, die als ,Nachrüstung" propagiert wurde, um ein angebliches sowjetisches Übergewicht bei Mittelstreckenraketen wettzumachen, bei gleichzeitig andauernden Abrüstungsverhandlungen.
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5Vgl. etwa: "den 22.11.1983 [...] wird man dereinst als den schwärzesten Tag in der Geschichte der Bundesrepublik bezeichnen, falls es sie dann noch gibt" (Schneider 1984, S. 36).
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6Gegen Ende des 20. Jahrhundert werden dementsprechend keine Kriege mehr geführt, es finden friedenserhaltende Maßnahmen statt, aus dem normativen Grundzustand Frieden werden störende Elemente in einem medizintechnisch beschriebenen Vorgang entfernt: Operation Wüstensturm stellt die Weltgesundheit wieder her (das atomare Verwüsten wird durch angebliche chirurgische Präzision ersetzt; ähnliches gilt für den Kosovo-Krieg als zweitem großen Krieg des Westens nach 1989).
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7Die größenwahnsinnigen Pläne für einen Krieg der Sterne (SDI - raketengestütztes Abwehrsystem im erdnahen Weltraum) unter der Reagan-Administration sind ein Versuch, einen Atomkrieg für den Erstschläger überlebbar zu machen (diese Pläne feiern im Jahr 2000 unter dem Titel NMD (National Missile Defense) ein erstaunliches Comeback; Profil 23/2000, S.104)
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8Müller (1984) bemerkt zur Ersetzung des Kriegsmodells durch ein Unfallmodell: "so attraktiv und naheliegend in einer hochtechnisierten Gesellschaft das Bild vom Krieg als Unfall der Kriegsapparatur ist, so sehr muß es doch gegen den Strich einer rein technischen Logik interpretiert werden. Der schwarze Peter bleibt bei der Politik", Müller 1984, S.122.
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9Baudrillard schlägt 1990 vor, die 90er Jahre zu überspringen: "da das Ende dieses Jahrhunderts bereits da ist, mit all seinem nekro-kulturellen Pathos, seinen Klagen, seinen Gedenkfeiern, seinen nicht endenden musealen Inszenierungen, wollen wir uns da wirklich noch einmal 10 Jahre in dieser Mühle langweilen?" (Baudrillard 1990. S.47)
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10Eine bemerkenswerte apokalyptische Interpretation des Spruchs von der Neuen Weltordnung vollzog die extreme politische Rechte (z.B. die Milizbewegung) in den USA. In endzeitlicher Paranoia wurde die Vorherrschaft der USA durch eine Weltregierung (die UNO) gefährdet gesehen. Gegen eine drohende Invasion der USA durch feindliche Truppen wurde auf privater Ebene mobilgemacht - die US-Regierung hatte sich durch den Ausspruch Bush's als dem feindlichen Ausland zuarbeitende enttarnt.
Das Sektendrama von Waco und der Bombenanschlag auf das Regierungsgebäude in Oklahoma markieren zwei Höhepunkte der Verlagerung vormals klar entlang des Kalten Krieg-Antagonismus verlaufender Konfliktfelder in das Innere der USA. Das Wegfallen des offensichlich bösen Lagers aus Sicht der USA läßt die grundsätzliche Opposition dieses Landes zum Rest der Welt erkennen. Die Legitimation politischen Handelns in den USA erfolgt auf Basis der heilsgeschichtliche Mission, aus deren Geist die USA gegründet wurden. Der Terminus von god's own country ist durchaus wörtlich aufzufassen. Der Rest ist demgemäß nicht in solch exklusiver Lage, sprich potentiell Teufelsland (vgl.: Kumar 1995, S.208 ff und zu einem Beispiel des US-Hegemonieverständnisses anhand des Jahr 2000-Problems Fosket/Fishman 1999).
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11Echelon statt Eschaton: Das real existierende weltweite Abhörsystem heißt Echelon. Dessen Existenz wurde 1988 in einem Artikel von dem Journalisten Campbell zum ersten Mal behauptet und wird rund um die Jahrtausendwende im Zuge der Diskussion um Überwachung mittels neuer elektronischer Technologien auf breiter Ebene untersucht.
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12Dem Comic ist das abschließende Kapitel dieser Arbeit gewidmet.
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13Watchmen ist einer der zentralen Comics der letzten 20 Jahre. Vor dem Hintergrund des drohenden Atomkriegs unternimmt er eine Neudefinition des Superheldengenres. Die Watchmen sind eine Gruppe kostümierter Abenteurer, die sich aufgrund ihres moralischen Selbstverständnisses als Hüter von Recht und Ordnung begreifen. Nur einer der Superhelden hat allerdings tatsächlich überirdische Fähigkeiten: Dr.Manhattan ist eine quasi allmächtige Figur, er hat durch einen atomaren Unfall eine neue Körperstruktur, ewige Jugend und faktische Allmächtigkeit erhalten. Die Handlung des Comic wird von dem langfristigen Plan des Ozymandias bestimmt, die Welt zu retten und nicht nur Kleinverbrecher zu jagen, wie die übrigen Selbstjustiz übenden Helden.
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14Der Großteil von Watchmen widmet sich der Vergangenheitsbewältigung der einzelnen Superhelden, ihrer persönlichen Geschichte, ihres Werdegangs, ihrer Beziehungen untereinander, ihrer jeweiligen Ideale und Moralvorstellungen.
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1. kingdom come 2. the curtain has fallen 3. join the great majority 4. give up the ghost 5. be given a gentle push 6. the great adventure Literaturverzeichnis samt Linx Inhaltsverzeichnis und Gästebuch
life is a highly overrated phenomenon
Zur Theorie des männlichen Weltuntergangs bei Ulrich Horstmann

Diplomarbeit von Thomas Jöchler © 2000