3.2 Kollektiver Tod
"For Revelation, be it said once and for all, is the
revelation of the undying will-to-power in man, and its sanctification, its
final triumph.
If you have to suffer martyrdom, and if all the universe has to be destroyed in the process, still, still, still, O Christian, you shall reign as a king and set your foot an the necks of the old bosses."
(D.H. Lawrence)
Das apokalyptische Denken von Horstmann ist sehr zentral in den frühen 80er Jahren des 20. Jahrhunderts verankert. Bolz (1997) gibt im Rückblick auf diese Zeit drei Beispiele für die von ihm so genannte semantische Katastrophe der Postmoderne. Diese liege darin, dass Kollektivsingulare - d.h. Begriffe, die Sachverhalte, die es nur als Vielzahl gibt, als Einheiten präsentieren - zerschlagen werden:
- Die Geschichte: Nach dem Ende des Kommunismus haben
Fortschrittsidee und Geschichtsphilosophie abgedankt, es gibt wieder eine
Mehrzahl von Geschichten, Zeitinseln.
- Die Wirklichkeit: Die Wirklichkeit war immer nur ein
Konstrukt, das nicht wahr oder falsch ist, sondern unterschiedlich gut passt.
Andere mögliche Welten werden simuliert.
- Der Mensch: "Wir nehmen heute Abschied vom literarischen
Humanismus und können nun erkennen, daß er mit seinem Modell des
Menschen nicht nur die wissenschaftliche Einsicht ins Funktionieren sozialer
Systeme, sondern auch den Weg zur bunten Mannigfaltigkeit von freien Individuen
blockiert hat." (Bolz 1997, S. 20.)
Horstmann hält im Untier noch an allen dieser drei Kollektivsingulare fest. Die
Geschichte reduziert sich bei ihm unausweichlich zu einer einzigen "Litanei
des Hauens, Stechens, Spießens, Hackens [...]"; die Wirklichkeit
"Im Zeichen des Wasserstoffs" ist der absolute Referent und jeder einzelne Mensch ist als ,Paria und Entarteter" der Schöpfung
zum Untier gebrandmarkt.
Wie denkt Horstmann nun im "Endspiele"-Aufsatz die kollektive Seite? Relativiert
er seine Sicht der Kollektivsingulare im Untier?
Zur Anknüpfung an die Beispiele lustvollen individuellen Sterbens greift
Horstmann auf das Todestriebkonzept Freuds zurück. Der Todestrieb terminiert "Wie
uns die Biologie wissen läßt, nicht nur die Existenzspanne des Einzelwesens,
sondern auch die der Gattung, der es angehört" (Horstmann 1996, S. 26). Die
Hypothese des Todestriebes ist für Horstmann eine evolutionstheoretisch zwingende:
"Verlöschen, Aussterben ist eine evolutionäre Pflichtübung,
der sich kaum eine Lebensform länger als ein paar Millionen Jahre zu entziehen
vermag. Eine Menschheit, die sich selbst ausrottet, würde diese Gesetzmäßigkeit
nur um eine eher dümmliche Variante bereichern; dümmlich deshalb,
weil sie so nicht an natürlichen Veränderungen der Umwelt zugrundegeht,
sondern ihr Anpassungsvermögen durch eigenaktive Schädigung bzw. Verseuchung
ihres Lebensraumes überstrapaziert und, verblendet von dem Wahn, der Natur
beständig in den Arm fallen zu müssen, eben dieser höchsten Instanz
zu- und in die Hände arbeitet. Die Mühen der Entsorgung, der Elimination
des Störfaktors Mensch bleiben der Evolution erspart; der Fremdkörper
erledigt das mit Feuereifer selbst." (Horstmann 1996, S. 26)
Fast könnte man nach diesen Zeilen glauben, Horstmann hätte 1989 schon
Bergfleth (1991) gelesen, und sich dessen Kritik am Untier ("darin wird der
Mensch mit dem wahrhaft königlichen Privileg ausgestattet, nicht nur sich,
sondern auch alles Leben der Erde in das finale Nichts zu befördern",
Bergfleth 1991, S. 34) zu Herzen genommen, dem Anthropozentrismus, den ihm Bergfleth
vorwirft, abgeschworen und der "Höchsten Instanz", der Natur, zu ihrem
Recht verholfen. Bergfleths Anliegen ist es, in Anschluss an Sgalambro (1988)
der Natur wieder zu "souveränität" zu verhelfen, was ihm ein
klassisch apokalyptisches Bild entlockt (nachdem er sich zuvor heftig gegen
Apokalyptiker, wie z.B. auch Horstmann, abgegrenzt hatte): "Wenn das Versiegen der
Ölreserven und anderer Naturquellen des technischen Reichtums mit dem Tag
X der zehn Milliarden zusammenfällt, dann wird es einen Knall geben, wie
ihn dieser Planet noch nicht gesehen hat" (Bergfleth 1991, S. 50).
Im Untier schlug Horstmann noch solche anthropozentrischen Töne an:
"Weltgeschichte - auch ein nacheiszeitliches Trainingslager
also, eine Arena, in der das Untier seine Gladiatorenkunst vervollkommnet und
sich verbissen hochrüstet, watend in einem Brei von Knochen, Blut und Hirn,
bis es das Inferno anrichten, den großen Streich gegen sich und das Leben
führen kann, dessen sehnsüchtige Vorahnung schon dem Neandertaler
die Keule führte."(Horstmann 1983, S. 58)
In einem neueren Aphorismus sieht Horstmann dagegen schon die Trümmer seiner
Theorie:
"Manchmal beschleicht mich der Verdacht, daß auch Nachgeschichte
und Menschenleere nur eine jener blassen Utopien darstellen, die nicht zur Wirklichkeit
gelangen können, weil die Gattung alles verpfuscht und ruiniert, selbst
ihre eigene Katastrophe." (Horstmann 1994, S. 41).
Klang Horstmann schon in dem Aufsatzzitat wie ein global inspirierter Umweltschützer,
der an der Uneinsichtigkeit der Menschheit verzweifelt, so sieht er bei diesem
Zitat den pseudognostischen Anschlag , den die Natur durch den Menschen auf sich selbst verübt, als
völlig gescheitert an, was bleibt, ist die finale Einsicht, dass die Menschheit
ungeeignet ist, "sich zu ermannen". ("Ermannen wir uns! [...] Vermonden
wir unseren stoffwechselsiechen Planeten!" lautete der Appell im Untier.)
Es ist an der Zeit, mehrere Punkte festzuhalten:
- Auch eine Theorie, die sich derart ungeschichtlich
gibt, derart auf Menschheitskonstanten ("schon dem Neandertaler die Keule
führte") abzielt, ist veränderten historischen Bedingungen
ausgeliefert. In den 80er Jahren war die Apokalypse (zumindest im westlichen
Europa, speziell in Deutschland, speziell in Intellektuellenkreisen...) in
einer Art real, wie sie es spätestens nach dem Ende der Sowjetunion nicht
mehr ist.
- Mit gnostischem Gedankengut schimmert die Religiosität
durch, die sich mit dem Heilsgedanken, den Horstmann verficht, zentral behauptet.
- Im Aufruf zur "Ermannung" und in dessen offensichtlich
gescheiterter Befolgung kündigt sich eine versteckte Theorie der Geschlechter
an.
Doch vorerst zurück zum Faden des "Endspiele"-Aufsatzes. Horstmann hatte
in der zitierten Stelle die Entsorgung des "Fremdkörpers" Mensch (dem
Cioranschen Gedanken, dass das Paradies nur ohne den Menschen zu haben sei,
folgend; vgl. Cioran 1972, S. 84) gerade noch aus dem Aufgabengebiet der allmächtigen
Natur herausgenommen und doch noch für die Menschheit reklamiert: "Erledigt
das mit Feuereifer selbst" lautet zwar die Formulierung, doch sie ist nur
mehr zweckoptimistisch. Die Gedankenfigur des menschgemachten Endes ist kein
mit der Absicht der "globalen Pasteurisierung" herbeigeführtes "Thermonukleares
Inferno" mehr (auf dem Horstmann im Untier beharrt, bei aller auslösenden
Funktion von Hungersnöten, Umweltverschmutzung, etc.), sondern eben nur
noch Pfusch, der sich weniger aus dem bewussten Handeln als aus der bloßen
Existenz der Milliarden praktizierender Schopenhauerianer ergibt.
Somit landet Horstmann mitten in dem von ihm verachteten und verspotteten
Diskurs von den "grenzen des Wachstums", nur dass er nicht auf die Möglichkeiten
einer "umkehr" abzielt, sondern jede Hoffnung auf ein einsichtiges Schlussmachen
fahren lässt.
In der Logik biologistischen Denkens reduziert sich somit das gesamte Menschheitsproblem
zu einem von vielen Artensterben. Die sich selbst ausrottende Menschheit ergänzt die "Evolutionäre
Pflichtübung" (Horstmann 1996, S. 26) des Artensterbens lediglich um "Eine
eher dümmliche Variante" (ebd.). Was für Horstmann im Untier noch die
das Humanum transzendierende Tat war, begreift er jetzt als unbewusst vollzogene
Schlamperei. Was Horstmann der Menschheit zugute hält, ist die Selbstentsorgung,
die Natur braucht sich nicht um die Beseitigung dessen, was vom Menschen übrigbleibt,
zu kümmern. Es bleibt ja schlicht nichts übrig, der finale Knall bereinigt
die Bühne von allen menschlichen Spuren. (Der atomare Knall kommt in jedem
Fall, nur eben nicht auf die bewusste Art, wie sie Horstmann im Untier vor dem Hintergrund
des Kalten Krieges imaginieren konnte.)
Die Menschheit wird so wieder ein Müllproblem, was sie schon immer war,
wenn man an die witzige Anekdote von der Erde als kosmischem Abort, die Kant
überliefert, denkt (Kant 1992, S. 171). Kant fragt sich in Das Ende aller
Dinge, weshalb die Menschen überhaupt ein Ende der Welt erwarten. Seine
Antwort lautet, dass ihnen die Dauer der Welt nur dann eine Berechtigung zu
haben scheint, wenn ein Endzweck für die Menschheit erreichbar ist. Durch
die Annahme einer "Verderbten Beschaffenheit des menschlichen Geschlechts"
(Kant 1992, S. 171) wird eben dies für ausgeschlossen erachtet, und folglich
das Ende der Welt ersehnt und imaginiert.
Diese Denkfigur beschreibt "In widrigen, zum Teil ekelhaften Gleichnissen" den Aufenthalt der Menschen auf der Erde: 1) als Wirtshaus (jeder wird durch einen anderen daraus verdrängt), 2) als Zuchthaus (zur Reinigung und Bestrafung aus dem Himmel gefallener Seelen), 3) als Tollhaus (wo einer dem anderen absichtlich alles zuleide tut) und 4) als "Ein Kloak, wo aller Unrat aus andern Welten hingebannt worden" (Kant 1992, S. 171). Letzteres Gleichnis würdigt Kant als einziges ausführlicher. Die zugrundeliegende Geschichte besteht in einer Variante des biblischen Sündenfalles, bei dem sich die Früchte des verbotenen Baumes als einzige nicht "ausschwitzen" ließen, woraufhin ein Engel dem ersten Menschenpaar, um nicht den Himmel zu verschmutzen, die Erde mit den Worten zeigt: "das ist der Abtritt für das ganze Universum, sie sodann dahinführte, um das Benötigte zu verrichten, und darauf mit Hinterlassung derselben zum Himmel zurückflog" (ebd.).
Kant verdeutlicht mit diesen Behausungsbeispielen die falschen Voraussetzungen
eines Denkens des Weltendes. Die vier Häuser, als die die Erde vorgestellt
wird, bezeichnen eine schon geschrumpfte Welt. Kant selbst begreift die Welt
als pazifizierbare, verlagert also die Utopie des ewigen Friedens aus dem Jenseits
in die wirkliche Welt, und gibt damit der Geschichtsphilosophie ihr Ziel (vgl.
Braun 1989, S. 28).
Den "großen Kirchhofe der Menschengattung" (Kant 1987, S. 8) sieht
Kant dabei schon mit den ersten Worten seines ,philosophischen Entwurfs"
Zum ewigen Frieden als durchaus mögliche Konsequenz:
,Zum ewigen Frieden - Ob diese satirische Überschrift auf
dem Schilde jenes holländischen Gastwirts, worauf ein Kirchhof gemalt war,
die Menschen überhaupt, oder besonders die Staatsoberhäupter, die
des Krieges nie satt werden können, oder wohl gar nur die Philosophen gelte,
die jenen süßen Traum träumen, mag dahingestellt sein."
(Kant 1987, S. 3)
Horstmann zitiert im Untier Kant als Autorität einer ,philosophischen Apologetik
des Krieges [...] von Plato bis Hegel", die er der Friedensforschung als
deren "Lange verschüttete Tradition" zum Studium empfiehlt. Horstmann zitiert
jedoch nicht die Eingangsstelle von Kant, sondern die "Ihrer Zeit um Jahrhunderte
vorauseilende Eingebung Kants, 'daß ein Ausrottungskrieg...den ewigen
Frieden...auf dem großen Kirchhofe der Menschengattung stattfinden lassen
würde.'" (Horstmann 1983, S. 67). Interessanterweise steht bei Kant (1987,
S. 8) anstelle der zweiten dots of suspense (...) einzig das kleine Wort ,nur",
das Horstmann wohl nicht aus zitierökonomischen Gründen weggelassen hat.
Wohl eher hätte ihm dieses ,nur" sein Zitat zu sehr mit ,philanthropischen
Wunschvorstellungen" überwuchert. Damit ist hier ein weiteres, wenn
auch marginales Beispiel für die tendenzielle Zitierweise von Horstmann gegeben,
wie sie Biella (1986) für diverse Stellen des Untiers nachweist (siehe
Biella 1986, z.B. S. 49, S. 75, S. 95).
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