1. kingdom come
2. the curtain has fallen
3. join the great majority
4. give up the ghost
life is a highly overrated phenomenon
5. be given a gentle push
6. the great adventure
Literaturverzeichnis samt Linx
Inhaltsverzeichnis und Gästebuch



3. join the great majority


"I'm not gonna worry wrinkles in my brow
`Cause nothin's ever gonna be all right no how
No matter how I struggle and strive
I'll never get out of this world alive"
(Hank Williams/Fred Rose)

3.1 Individueller Tod



Sieht man von der Verknüpfung mit dem Autor ab, so ist die individuelle Komponente der Apokalypse in der Parallelisierung von Weltuntergang und individuellem Tod offensichtlich.

In der zweiten der zitierten Eröffnungen bringt Horstmann zwar Toleranz und Verständnis für "alle diejenigen, die nicht von der Bildfläche verschwinden wollen" auf, das er jedoch mit dem postwendenden hämischen Verweis auf die "Hure TV" entwertet. 22
Durch das Insistieren, doch einmal "der Sache auf den Grund gehen" zu müssen, stellt er klar, dass es um einen "Vollrausch des Fortschritts" oder um nüchterne Klarsicht geht. Horstmann läßt keine Zweifel darüber, welchen Mentalzustand er für sich beansprucht: Er richtet seinen klaren Blick zielstrebig auf den individuellen Tod, als jenem Phänomen, das den Zugang zu einem Diskurs des Gattungsendes ermöglicht.
Im nunmehr einstimmigen Text widmet sich Horstmann letzten Worten berühmter Sterbender, die ein glückliches Sterben bezeugen. 23
Horstmann bietet eine männliche Dreiheiligkeit "Euphorisch Abscheidender" aus Sokrates, Picasso und Raffael auf, komplettiert zum Quartett durch die Schauspielerin Ellen Terry, die Aufnahme findet, weil sie das gesprochene (bzw. gehauchte) Sterbewort Raffaels ("glücklich") durch ein in den "staub ihrer Nachttischplatte" gekritzeltes noch überbietet. 24
Horstmann schenkt sich jedes Hinterfragen der Berechtigung von Sterbeworten als Argumentationsstützen, wie es etwa Guthke (1990) mit seinen Variationen zu einer Kulturgeschichte letzter Worte bietet. Die Autorität, die Horstmann den Sterbeworten beimisst, ist die klassische Autorität der letzten Worte in westlichen Kulturen, die sich nach Guthke aus mehreren Bereichen speist: 25

  • Aus der Denkfigur eines selbstreflektiven Lebens ("Ein Leben ohne Selbsterforschung verdient nicht gelebt zu werden"; Sokrates/Platon, zit. Guthke 1990, S. 11), das seine höchste Wahrheit und Vollendung im Moment des Todes und ausschließlich in diesem gewinnt. Der Moment des Sterbens ermöglicht dem Sterbenden, der die Welt verlässt, das Formulieren tiefgehender Einsichten in das eigene zuendegehende Leben und in das Leben im generellen. Daraus leitet sich das Klischee ab, dass man sterbe, wie man gelebt habe. 26
    Eine wichtige Variante dieser Denkfigur ist die christliche Überzeugung der Artes moriendi des späten Mittelalters. Dabei wird das Wahrheitsmoment der letzten Worte so hoch angesetzt, dass mit ihnen die Beurteilung eines Lebens eine ganz andere Richtung einschlagen kann. Statt einer Bestätigung wird eine Widerlegung der Gestalt des Lebens möglich. Ein sündiges Leben kann durch das Bekunden der Reue und das Bekennen des richtigen Glaubens mit dem letzten Atemzug wettgemacht werden (vgl. Guthke 1990, S. 56 ff).
  • Aus der Denkfigur, dass der Sterbende durch ein denkwürdiges letztes Wort in den Stand einer Art säkularisierter Unsterblichkeit tritt. "so wie die Totenmaske das wahre Gesicht bewahrt, ist das letzte Wort das bleibende Vermächtnis - die Aufhebung des Organischen im Artefakt, der Zeit in der Zeitlosigkeit, der Vergänglichkeit in der Dauer." (Guthke 1990, S. 62) Das letzte Wort entspricht auf diese selbsttranszendente Weise z.B. einem als ,bleibend" gedachten Werk des Künstlers oder den Mausoleen, die sich Staatsmänner errichten ließen.
  • Aus der Denkfigur der "Mystique" des letzten Moments (nach Guthke 1990, S. 64). Diese zeigt sich besonders in einem nicht mehr in religiösem Rahmen erfolgenden Sterben, das immer wieder dieselben Vorstellungen eines Jenseits und oft identischen Formeln von letzten Worten hervorgebracht hatte. Wenn kein dogmatisch vorgeschriebenes Muster des Sterbens mehr zu erfüllen ist, gewinnt der letzte Moment eine ,Bedeutung ganz anderer Art, eine nicht-standardisierte sozusagen" (S. 65), er tritt als tatsächliche Grenzerfahrung, die Sein und Nicht-Sein ein letztes Mal verbindet, klarer zutage. Dabei kann die Einsicht in die ,Nichtigkeit" des endenden Lebens geradezu einen "Triumph der Individuation" darstellen. Eine Art säkularer Erlösung durch einen individuellen (gegen einen "Modernen", anonymen, industrialisierten) und individualitätssteigernden Tod sehen Rilke und Heidegger ebenso wie der Psychiater Eissler (vgl. Guthke 1990, S. 70ff).
  • 27

Horstmann ergänzt seine Verweise auf die letzten Worte der "Euphorisch Abscheidenden" (Horstmann 1996, S. 25) durch die Erwähnung einer "seligkeit vor dem Tode" (ebd.) bei den frühchristlichen Märtyrern und (als ,rezenteres Zeugnis") der Abschiedsbriefe von Kleist ("Meine ganze jauchzende Sorge nur sein kann, einen Abgrund tief genug zu finden, um mit ihr hinab zu stürzen") zu einer Skizze eines "suizidären Taumels" (ebd, S. 26):

,Offenbar war es ihm (Kleist) eine Lust, mit der Waffe in der Hand zu sterben. Und wenn man es recht bedenkt, hat dieses Utensil Legionen von Gattungsgenossen den Übertritt aus dem verletzlichen Fleische ins Reich der hieb- und stichfesten Schatten versüßt. Dulce et decorum est pro patria mori steht auf dem Fahnentuch über ihren Särgen, und Thanatos senkt grüßend die Fakkel." (ebd., S. 25f)

Diese martialische Bestattungsszene, die Horstmann imaginiert, bedarf näherer Betrachtung. Den Clou, mit dem Horstmann in dem "Thanatos als Lustprinzip/Endspiele"-Aufsatz seine Position aus dem Untier zu verteidigen sucht, kann ich dabei vorwegnehmen: Horstmann spricht statt von der im Anfangszitat behaupteten "Lust am Untergang" von der "denklust am Untergang", der er fröne, und bringt als letzte Worte die Formel: 28
"Die Apokalypse verfertigt Gedankengemälde: Und wer möchte einem Maler verbieten, die Apokalypse auf die Leinwand zu bringen?" (ebd. S. 33).

Diese naiv anmutende Anrufung der Autonomie einer bloß abbildenden Kunst ernst nehmend ergibt sich für mich die Frage: Was ist also zu sehen, im Gedankengemälde des soldatischen Sterbens?

Watchmen - Absent Friends
Das Begräbnis des Comedian bildet in Watchmen einen Ausgangspunkt für einen Einstieg in die Psychen der diversen Superhelden. Links neben dem strahlenden "Blauen Riesen" Dr. Manhattan steht Adrian Veidt alias Ozymandias, rechts von ihm Dan Dreiberg alias Nite Owl.
Ein Begräbnis von Helden, Särge eingehüllt mit dem Tuch eines kultivierten, lateinisch sprechenden Staates, der durch einen Überlebenden namens Thanatos repräsentiert wird, der neben den Särgen steht und eine Fackel senkt. Fraglich ist, ob es sich bei den "Legionen von Gattungsgenossen" um Selbstmörder nach und mit Kleist handelt, oder doch eher um unfreiwillig Beförderte, gleichwohl die Rede von einem ,Übertritt" ist. Es ist wohl zweifelhaft, dass Selbstmördern ein Heldenbegräbnis, auf das der lateinische Spruch eindeutig verweist, zugestanden wird. Die Süße steigt dann nicht notwendig nur aus dem Eigengebrauch des "utensils" Pistole hervor, sie kommt aus einem Zusammenhang, der aus den Opfern eines Krieges (oder, weil wir im Signum des Ganzen stehen: des Krieges) Geopferte (für einen Staat, der dafür Begräbnis, Orden und Süße spendiert) macht. Der Fackelträger Thanatos zollt Respekt und nimmt in sein Reich auf, was ihm im Namen des Staates übergeben wird, gibt den "Legionen" die Gewissheit, an einem Gattungsziel angekommen zu sein, gleichsam als Speerspitze vorangeschritten zu sein, den "Weg alles Irdischen" beschritten zu haben.

Mit diesen Überlegungen konstruiert Horstmann auf der individuellen Seite, noch bevor er auf das "Kollektivsubjekt Menschheit" (ebd., S. 26) zu sprechen kommt, ein lustvolles, bejahtes, gewolltes Sterben Einzelner (alleine bzw. in Gruppen). Dabei unterschlägt er bei den "Famous Last Words" 29 jegliche kritische Befragung der Mystique, nimmt den Suizid Kleists als idealtypisch und erweitert ihn zu einer fragwürdigen heldischen Sterbensszene, dem "Übertritt aus dem verletzlichen Fleische ins Reich der hieb- und stichfesten Schatten".

Im Untier fasst Horstmann in einer Fußnote seine Sicht des individuellen Suizids zusammen, die einem untergeordneten Zeugen (Menninger) verborgen geblieben sei:

"Die anthropofugale Einsicht, daß der Selbstmörder den ultimativen Akt der Gattungsannihilation in einer Art ungeduldigen Symbolismus' antizipiert, und jeder, der Hand an sich legt und so ostentativ für das Nichtsein votiert, mit seinem entseelten Leib ein Mahnmal aufrichtet gegen humanistischen Überlebensdünkel und die satte Trägheit, die das Kollektiv von seinem Weg nach Harmageddon abführen will [...]." (Horstmann 1983, S. 89)

Ein ewiges Reich der völligen Unversehrtheit ist als idealisierter Endzustand, als Neues Jerusalem anvisiert. Horstmann denkt also schon das individuelle Sterben und den individuellen Tod ganz auf kollektive Endzustände, auf ein Jenseits einer "Verletzlichen" Leiblichkeit hin ausgerichtet.

Er steht damit in der Tradition apokalyptischen Denkens, das aus der Behauptung einer defizienten Gegenwart das Szenario eines baldigen Weltuntergangs herleitet und damit das Heilsversprechen eines perfekten "Tag danach" verknüpft. Das bemerkenswerte dabei ist, dass in breiter Übereinstimmung der seit Hiroshima 30 als durch "den Menschen" machbar begriffene Weltuntergang (als Erdoberflächenverwüstung) nur mehr als "Kupierte Apokalypse" (Kamper 1985 31 ) aufgefasst wird. Das bedeutet "Ende der Welt ohne neuen Anfang, katastrophischer Untergang der Zivilisation ohne den Aufgang eines 'Himmlischen Jerusalem', Jüngster Tag und Weltgericht ohne die Auferstehung der Toten" (Kamper 1985, S. 83).

Wie die Anmerkungen zu Horstmanns Skizzen zu einem individuellen Sterben bereits zeigen, hindert Horstmann das Wissen um die verstümmelte Apokalypse nicht daran, das "danach" eines paradiesischen Endzustandes zu denken.

 



 

3.2 Kollektiver Tod


"For Revelation, be it said once and for all, is the revelation of the undying will-to-power in man, and its sanctification, its final triumph.
If you have to suffer martyrdom, and if all the universe has to be destroyed in the process, still, still, still, O Christian, you shall reign as a king and set your foot an the necks of the old bosses."
(D.H. Lawrence)


Das apokalyptische Denken von Horstmann ist sehr zentral in den frühen 80er Jahren des 20. Jahrhunderts verankert. Bolz (1997) gibt im Rückblick auf diese Zeit drei Beispiele für die von ihm so genannte semantische Katastrophe der Postmoderne. Diese liege darin, dass Kollektivsingulare - d.h. Begriffe, die Sachverhalte, die es nur als Vielzahl gibt, als Einheiten präsentieren - zerschlagen werden:

  • Die Geschichte: Nach dem Ende des Kommunismus haben Fortschrittsidee und Geschichtsphilosophie abgedankt, es gibt wieder eine Mehrzahl von Geschichten, Zeitinseln.
  • Die Wirklichkeit: Die Wirklichkeit war immer nur ein Konstrukt, das nicht wahr oder falsch ist, sondern unterschiedlich gut passt. Andere mögliche Welten werden simuliert.
  • Der Mensch: "Wir nehmen heute Abschied vom literarischen Humanismus und können nun erkennen, daß er mit seinem Modell des Menschen nicht nur die wissenschaftliche Einsicht ins Funktionieren sozialer Systeme, sondern auch den Weg zur bunten Mannigfaltigkeit von freien Individuen blockiert hat." (Bolz 1997, S. 20.)

Horstmann hält im Untier noch an allen dieser drei Kollektivsingulare fest. Die Geschichte reduziert sich bei ihm unausweichlich zu einer einzigen "Litanei des Hauens, Stechens, Spießens, Hackens [...]"; die Wirklichkeit "Im Zeichen des Wasserstoffs" ist der absolute Referent 32 und jeder einzelne Mensch ist als ,Paria und Entarteter" der Schöpfung zum Untier gebrandmarkt. 33

Wie denkt Horstmann nun im "Endspiele"-Aufsatz die kollektive Seite? Relativiert er seine Sicht der Kollektivsingulare im Untier?

Zur Anknüpfung an die Beispiele lustvollen individuellen Sterbens greift Horstmann auf das Todestriebkonzept Freuds zurück. Der Todestrieb terminiert "Wie uns die Biologie wissen läßt, nicht nur die Existenzspanne des Einzelwesens, sondern auch die der Gattung, der es angehört" (Horstmann 1996, S. 26). Die Hypothese des Todestriebes ist für Horstmann eine evolutionstheoretisch zwingende:

"Verlöschen, Aussterben ist eine evolutionäre Pflichtübung, der sich kaum eine Lebensform länger als ein paar Millionen Jahre zu entziehen vermag. Eine Menschheit, die sich selbst ausrottet, würde diese Gesetzmäßigkeit nur um eine eher dümmliche Variante bereichern; dümmlich deshalb, weil sie so nicht an natürlichen Veränderungen der Umwelt zugrundegeht, sondern ihr Anpassungsvermögen durch eigenaktive Schädigung bzw. Verseuchung ihres Lebensraumes überstrapaziert und, verblendet von dem Wahn, der Natur beständig in den Arm fallen zu müssen, eben dieser höchsten Instanz zu- und in die Hände arbeitet. Die Mühen der Entsorgung, der Elimination des Störfaktors Mensch bleiben der Evolution erspart; der Fremdkörper erledigt das mit Feuereifer selbst." (Horstmann 1996, S. 26)

Fast könnte man nach diesen Zeilen glauben, Horstmann hätte 1989 schon Bergfleth (1991) gelesen, und sich dessen Kritik am Untier ("darin wird der Mensch mit dem wahrhaft königlichen Privileg ausgestattet, nicht nur sich, sondern auch alles Leben der Erde in das finale Nichts zu befördern", Bergfleth 1991, S. 34) zu Herzen genommen, dem Anthropozentrismus, den ihm Bergfleth vorwirft, abgeschworen und der "Höchsten Instanz", der Natur, zu ihrem Recht verholfen. Bergfleths Anliegen ist es, in Anschluss an Sgalambro (1988) der Natur wieder zu "souveränität" zu verhelfen, was ihm ein klassisch apokalyptisches Bild entlockt (nachdem er sich zuvor heftig gegen Apokalyptiker, wie z.B. auch Horstmann, abgegrenzt hatte): "Wenn das Versiegen der Ölreserven und anderer Naturquellen des technischen Reichtums mit dem Tag X der zehn Milliarden zusammenfällt, dann wird es einen Knall geben, wie ihn dieser Planet noch nicht gesehen hat" (Bergfleth 1991, S. 50). 34
Im Untier schlug Horstmann noch solche anthropozentrischen Töne an:

"Weltgeschichte - auch ein nacheiszeitliches Trainingslager also, eine Arena, in der das Untier seine Gladiatorenkunst vervollkommnet und sich verbissen hochrüstet, watend in einem Brei von Knochen, Blut und Hirn, bis es das Inferno anrichten, den großen Streich gegen sich und das Leben führen kann, dessen sehnsüchtige Vorahnung schon dem Neandertaler die Keule führte."(Horstmann 1983, S. 58)

In einem neueren Aphorismus sieht Horstmann dagegen schon die Trümmer seiner Theorie:

"Manchmal beschleicht mich der Verdacht, daß auch Nachgeschichte und Menschenleere nur eine jener blassen Utopien darstellen, die nicht zur Wirklichkeit gelangen können, weil die Gattung alles verpfuscht und ruiniert, selbst ihre eigene Katastrophe." (Horstmann 1994, S. 41).

Klang Horstmann schon in dem Aufsatzzitat wie ein global inspirierter Umweltschützer, der an der Uneinsichtigkeit der Menschheit verzweifelt, so sieht er bei diesem Zitat den pseudognostischen Anschlag 35 , den die Natur durch den Menschen auf sich selbst verübt, als völlig gescheitert an, was bleibt, ist die finale Einsicht, dass die Menschheit ungeeignet ist, "sich zu ermannen". ("Ermannen wir uns! [...] Vermonden wir unseren stoffwechselsiechen Planeten!" lautete der Appell im Untier.)

Es ist an der Zeit, mehrere Punkte festzuhalten:

  • Auch eine Theorie, die sich derart ungeschichtlich gibt, derart auf Menschheitskonstanten ("schon dem Neandertaler die Keule führte") abzielt, ist veränderten historischen Bedingungen ausgeliefert. In den 80er Jahren war die Apokalypse (zumindest im westlichen Europa, speziell in Deutschland, speziell in Intellektuellenkreisen...) in einer Art real, wie sie es spätestens nach dem Ende der Sowjetunion nicht mehr ist.
  • Mit gnostischem Gedankengut schimmert die Religiosität durch, die sich mit dem Heilsgedanken, den Horstmann verficht, zentral behauptet.
  • Im Aufruf zur "Ermannung" und in dessen offensichtlich gescheiterter Befolgung kündigt sich eine versteckte Theorie der Geschlechter an.

Doch vorerst zurück zum Faden des "Endspiele"-Aufsatzes. Horstmann hatte in der zitierten Stelle die Entsorgung des "Fremdkörpers" Mensch (dem Cioranschen Gedanken, dass das Paradies nur ohne den Menschen zu haben sei, folgend; vgl. Cioran 1972, S. 84) gerade noch aus dem Aufgabengebiet der allmächtigen Natur herausgenommen und doch noch für die Menschheit reklamiert: "Erledigt das mit Feuereifer selbst" lautet zwar die Formulierung, doch sie ist nur mehr zweckoptimistisch. Die Gedankenfigur des menschgemachten Endes ist kein mit der Absicht der "globalen Pasteurisierung" herbeigeführtes "Thermonukleares Inferno" mehr (auf dem Horstmann im Untier beharrt, bei aller auslösenden Funktion von Hungersnöten, Umweltverschmutzung, etc.), sondern eben nur noch Pfusch, der sich weniger aus dem bewussten Handeln als aus der bloßen Existenz der Milliarden praktizierender Schopenhauerianer ergibt. 36
Somit landet Horstmann mitten in dem von ihm verachteten und verspotteten Diskurs von den "grenzen des Wachstums", nur dass er nicht auf die Möglichkeiten einer "umkehr" abzielt, sondern jede Hoffnung auf ein einsichtiges Schlussmachen fahren lässt. 37

In der Logik biologistischen Denkens reduziert sich somit das gesamte Menschheitsproblem zu einem von vielen Artensterben. 38 Die sich selbst ausrottende Menschheit ergänzt die "Evolutionäre Pflichtübung" (Horstmann 1996, S. 26) des Artensterbens lediglich um "Eine eher dümmliche Variante" (ebd.). Was für Horstmann im Untier noch die das Humanum transzendierende Tat war, begreift er jetzt als unbewusst vollzogene Schlamperei. Was Horstmann der Menschheit zugute hält, ist die Selbstentsorgung, die Natur braucht sich nicht um die Beseitigung dessen, was vom Menschen übrigbleibt, zu kümmern. Es bleibt ja schlicht nichts übrig, der finale Knall bereinigt die Bühne von allen menschlichen Spuren. (Der atomare Knall kommt in jedem Fall, nur eben nicht auf die bewusste Art, wie sie Horstmann im Untier vor dem Hintergrund des Kalten Krieges imaginieren konnte.)

Die Menschheit wird so wieder ein Müllproblem, was sie schon immer war, wenn man an die witzige Anekdote von der Erde als kosmischem Abort, die Kant überliefert, denkt (Kant 1992, S. 171). Kant fragt sich in Das Ende aller Dinge, weshalb die Menschen überhaupt ein Ende der Welt erwarten. Seine Antwort lautet, dass ihnen die Dauer der Welt nur dann eine Berechtigung zu haben scheint, wenn ein Endzweck für die Menschheit erreichbar ist. Durch die Annahme einer "Verderbten Beschaffenheit des menschlichen Geschlechts" (Kant 1992, S. 171) wird eben dies für ausgeschlossen erachtet, und folglich das Ende der Welt ersehnt und imaginiert.
Diese Denkfigur beschreibt "In widrigen, zum Teil ekelhaften Gleichnissen" den Aufenthalt der Menschen auf der Erde: 1) als Wirtshaus (jeder wird durch einen anderen daraus verdrängt), 2) als Zuchthaus (zur Reinigung und Bestrafung aus dem Himmel gefallener Seelen), 3) als Tollhaus (wo einer dem anderen absichtlich alles zuleide tut) und 4) als "Ein Kloak, wo aller Unrat aus andern Welten hingebannt worden" (Kant 1992, S. 171).
Letzteres Gleichnis würdigt Kant als einziges ausführlicher. Die zugrundeliegende Geschichte besteht in einer Variante des biblischen Sündenfalles, bei dem sich die Früchte des verbotenen Baumes als einzige nicht "ausschwitzen" ließen, woraufhin ein Engel dem ersten Menschenpaar, um nicht den Himmel zu verschmutzen, die Erde mit den Worten zeigt: "das ist der Abtritt für das ganze Universum, sie sodann dahinführte, um das Benötigte zu verrichten, und darauf mit Hinterlassung derselben zum Himmel zurückflog" (ebd.).

Kant verdeutlicht mit diesen Behausungsbeispielen die falschen Voraussetzungen eines Denkens des Weltendes. Die vier Häuser, als die die Erde vorgestellt wird, bezeichnen eine schon geschrumpfte Welt. Kant selbst begreift die Welt als pazifizierbare, verlagert also die Utopie des ewigen Friedens aus dem Jenseits in die wirkliche Welt, und gibt damit der Geschichtsphilosophie ihr Ziel (vgl. Braun 1989, S. 28).

Den "großen Kirchhofe der Menschengattung" (Kant 1987, S. 8) sieht Kant dabei schon mit den ersten Worten seines ,philosophischen Entwurfs" Zum ewigen Frieden als durchaus mögliche Konsequenz:

,Zum ewigen Frieden - Ob diese satirische Überschrift auf dem Schilde jenes holländischen Gastwirts, worauf ein Kirchhof gemalt war, die Menschen überhaupt, oder besonders die Staatsoberhäupter, die des Krieges nie satt werden können, oder wohl gar nur die Philosophen gelte, die jenen süßen Traum träumen, mag dahingestellt sein." (Kant 1987, S. 3)

Horstmann zitiert im Untier Kant als Autorität einer ,philosophischen Apologetik des Krieges [...] von Plato bis Hegel", die er der Friedensforschung als deren "Lange verschüttete Tradition" zum Studium empfiehlt. Horstmann zitiert jedoch nicht die Eingangsstelle von Kant, sondern die "Ihrer Zeit um Jahrhunderte vorauseilende Eingebung Kants, 'daß ein Ausrottungskrieg...den ewigen Frieden...auf dem großen Kirchhofe der Menschengattung stattfinden lassen würde.'" (Horstmann 1983, S. 67). Interessanterweise steht bei Kant (1987, S. 8) anstelle der zweiten dots of suspense (...) einzig das kleine Wort ,nur", das Horstmann wohl nicht aus zitierökonomischen Gründen weggelassen hat. Wohl eher hätte ihm dieses ,nur" sein Zitat zu sehr mit ,philanthropischen Wunschvorstellungen" überwuchert. Damit ist hier ein weiteres, wenn auch marginales Beispiel für die tendenzielle Zitierweise von Horstmann gegeben, wie sie Biella (1986) für diverse Stellen des Untiers nachweist (siehe Biella 1986, z.B. S. 49, S. 75, S. 95). 39



 

3.3 "go the way of all flesh


,No matter what people say, I'll be waiting for you after the Judgement Day"
(Whitney Houston, My Love is Your Love)

 

Unter dem Gesichtspunkt einer quasi per definitionem unerfreulichen "Entsorgung der Menschheit" ist es nachvollziehbar, dass Horstmann den Lustgewinn beim Gattungsende im Märchen 40 "Endlagert" (um einmal mehr der Versuchung nicht zu widerstehen, einen Diskurs mit diskursähnlicher Wortwahl zu überbieten), irgendwo gehört dieser ja aufgehoben, wenn er sich schon nicht beim Müllwegräumen einstellen will:

"die Vorstellung einer orgiastischen Vereinigung im Tode, eines Paroxysmus der Heiterkeit, der Globalisierung der Kleistschen Verzückung in letzter Minute scheint mir denn doch eher märchenhaft. In Wirklichkeit wird wohl alles viel prosaischer und in den üblichen Bahnen ablaufen." (Horstmann 1996, S. 26)

Hier gelangt ein neues Hintergrundbild zum Einsatz: Das Bild eines finalen Sexualaktes, der mit dem ewigen Frieden Befriedigung brächte, den kleinen Tod mit dem großen, dem ganz großen, Tod verbände. Horstmann setzt die Wahrscheinlichkeit dieser totalen Befried(ig)ung niedrig an, und erhöht damit das Geheimnis um diesen die Welt des Menschen beschließenden Geschlechtsverkehr. Er räumt einerseits die Entzauberung seines Ideals ein, entrückt dieses andererseits genau damit auf eine nichterreichbare Ebene. Das Ideal des tödlichen Sex, der mit seiner 100%-igen Mortalitätsrate die Befriedigung der Menschenleere verschafft, bleibt so erhalten, es wird gegenüber dem Untier stärker verklärt und als metaphysisches Absolutum inthronisiert.

Auch die Details im Bild des Endes stehen bei allen Zweifeln über den Grad der Erregung fest. Das Szenario, an dem Horstmann bei allen Modifikationen festhält, bleibt der "Thermonukleare Exitus": 41
Im "Thermonuklearen Abort" (Horstmann 1996, S. 26) wird alles enden, ungeachtet all dessen, was "In unserem vielleicht letzten Frieden" dagegen spricht ("die Wende, die moralische Erneuerung, [...] Greenpeace, New Age oder die Geburt des neuen Menschen aus Sojaschrot und Grünkernbratlingen" sind die Kampfbegriffe, die Horstmann 1996, S. 26 kennt.).

Bei diesem vorgestellten Sexualakt, der nicht ekstatisch sondern nur in einer verpfuschten Version statthat, bleibt noch die Frage offen, wer dabei wen, bzw. wer mit wem fickt. Ich denke, es ist ein männliches Prinzip, das die Natur besteigt, so trivialdumm dies auch klingt. Gerade in der Absage an ein lustvolles Aus-scheiden der Menschheit zeigt sich hinter aller Metaphorik: Der Moment des Knalls (und nichts anderes ist das thermonukleare Großereignis: Ein ejakulativer Feuersturm) am Ende ist die Ejakulation des im Natur-, Erdkörpers steckenden Gliedes. Aufschlussreich für das sexualisierte Naturverständnis bei Horstmann ist die Metapher des "Vergewaltigten Planeten", auf dem es ,nichts Unberührtes, nichts Überwältigendes, nichts Erhabenes mehr" gebe (Horstmann 1991, S. 88). Der durch den Menschen entweihte, vergewaltigte Planet Erde kann keine passiven Vergewaltigungsphantasien mehr befriedigen, aber auch keine aktiven mehr evozieren. D.h. der Planet Erde, die Natur 42 , ist nicht mehr übermächtig, der Mensch hat die Natur unterworfen, sie vergewaltigt. Die als ursprünglich gedachte Reinheit und Mächtigkeit der Natur kann nur durch eine überhöhte Anstrengung bisheriger Schändung wiederhergestellt werden. Die vergewaltigte Natur muss zu Tode vergewaltigt werden, damit die Vergewaltigung gesühnt wird, und die Natur wieder ihre ursprüngliche Unberührtheit (die Menschenleere) erhält und dadurch wieder attraktiv für den anthropofugalen Denker wird. Für Horstmann ist die Natur nicht mehr attraktiv, aber sie war es in einer vorgestellten früheren Form. Die Natur trägt selbst die Schuld für ihre Vergewaltigung, denn der Mensch ist aus ihr entstanden, er ist das Produkt ihres Todestriebes. Die Natur will sterben, und der Mensch vergewaltigt sie, um sie dafür zu bestrafen, dass sie nicht in ihrer Unberührtheit verharren wollte. Gleichzeitig kann die Wiederherstellung der reinen Natur nur durch ihren Tod in einer finalen Vergewaltigung stattfinden, bei der der Vergewaltiger sich durch sie zu Tode fickt und vorab einen höchsten Orgasmus imaginiert.

Horstmanns Position ist dabei die des vorgeblichen Welterlösers. Er sieht sich in Opposition zu bisherigen und gegenwärtigen Vergewaltigern des Planeten, den "Machern" (Horstmann 1991, S. 33). Er versteht sich als Denker und Mitleidender, der das durch den Menschen verursachte Elend der Natur in aller Konsequenz sieht. Anders als etwa die Friedens-/Umweltbewegung, die ein ähnliches Mitleiden kennt, weiß der Anthropofugalist aber um den Königsweg der Naturerlösung. Es ist die Wiederherstellung der Menschenleere, bzw. des anorganischen Zustandes der Erde. Das Leben ist das Übel, an dem der Planet leidet. Die Erlösung der Natur ist ihre Ermordung und Auslöschung durch eine Vergewaltigung. Diese letzte Vergewaltigung sühnt alle vorigen Vergewaltigungen, denen sie ein Ende macht durch die umfassende Mortalisierung. Das Perfide ist dabei, dass die Verantwortung für die finale Vergewaltigung, aber auch für alle vorangegangenen, der vergewaltigten Natur untergejubelt wird. In einer großmütigen Geste erhält die Natur zuerst Opferstatus, um danach als Täterin gebrandmarkt zu werden, die Schuld hat, dass sie zum Opfer wurde und ihre Attraktivität, die die Vergewaltigung lohnte, einbüßte. Die behauptete Opposition Horstmanns gegen die "Macher" löst sich somit in männlicher Komplizenschaft auf, als verbindende Basis tritt ein Denken und Handeln zutage, das sich als Vergewaltigung benennt und sich unter diesem Namen als Erlösung präsentiert.

Horstmann denkt also den Untergang wie einen Geschlechtsakt. Der Tod der Menschheit (die als ausschließlich männliche gedacht wird) tritt vor/während der Ejakulation gleichsam durch Explosion in Natur ein. Horstmann begreift das gesamte Menschheitsprojekt, die ganze Hingeworfenheit des Fremdkörpers als zum Scheitern bestimmten Versuch der Reintegration in Natur, Ganzheit, Anorganisches. Ausgespieen in einem Urknall (macht kaum einen Unterschied, dass dieser auch das All betrifft), wieder aufgelöst in einer kleinen do-it-yourself Variante desselben. Neben der Naturerlösung (durch das Erfüllen des Todeswunsches der Natur) ist dies eine Strategie der Selbsterlösung, der Erlösung vom Selbst durch Selbstmord. Die Feier dieser Kultur des Selbst findet auf dem größtmöglichen Spielfeld statt, auf der gesamten Erdoberfläche. Die Freisetzung der erlösenden Mächte erfolgt dabei aus dem kleinstmöglichen Raum, dem Atom. 43

"denn im Ausgang des zweiten Jahrtausends nach Christus beginnt sich in der Tat etwas auf ewig einzurollen, zu verkapseln und abzuschließen, von dem unzählige Generationen gelebt und gezehrt haben, die Hoffnung auf bessere Zeiten nämlich und auf die graduelle Rekultivierung des Gartens Eden." (Horstmann 1996, S. 27f)

Die Sirenen klingen aus den Worten, warnend und verlockend. Die Botschaft ist gesprochen, das Paradies ist nur ohne den Menschen zu haben. Aber die Vorstellung vom Paradies ist noch und wieder zu haben. "denklust am Untergang" (Horstmann 1996, S.33) lautet die Losung, die die Lösung aus dem Rätsel, als welches die weibliche Natur dem männlichen Prinzip erscheint, ermöglicht.




Fußnoten


 
22. Das Nicht-Verschwinden-Wollen gelte "Insbesondere für Fernsehmoderatoren, deren Talkshows und Gesprächsrunden ohnehin dem Prinzip des Nichtendenwollens gehorchen." Ein Gedicht von Horstmann trägt den Titel: "Werbespot für die Hure TV" (Horstmann 1989, S. 81). Horstmann war selbst häufiger Gast in Talkshows, vgl. etwa Sens (1990, S. 15): "der Satz, man sieht nur, was man weiß, paßt gut auf eine Kulturkritik, die auch nur sieht, was sie schon weiß. Sie hat alles längst schopenhauerisch finalisiert und redet in Talkshows gutgelaunt vom Ende des Untiers."
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23. Die Anrufung von Zeugen ist schon im Untier eine vorrangige Methode Horstmanns. Ein Großteil des Untiers besteht aus der Anrufung von die anthropofugale Theorie belegenden Zeugen, wobei Horstmann quasi in Eigenregie ein Jüngstes Gericht nachstellt, mit herkömmlicher Rechtssprechung allerdings (oder braucht es beim Jüngsten Gericht Zeugen für die Verdorbenheit der Welt?). Die vier großen Felder, aus denen die Zeugen kommen, heißen im Untier: Mythos (Deplaziertheitsgefühl), Philosophiegeschichte (in Horstmannscher Lesart), Leichenberge (Krieg) und Wissenschaft (Paradieseröffnung).
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24. Vgl. die Ergriffenheit Thomas Manns über Goethes Sterben, der bereits verstummt, mit erhobener Hand Buchstaben in die Luft schrieb, was Mann als perfekte Übereinstimmung von Leben und Sterben begriff: Er "starb schreibend. Er tat [...] was er [...] sein Leben lang getan hatte" (zit. nach Guthke 1990, S. 60).
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25. Ich denke hier weniger an die Frage der Authentizität von Sterbeworten einer Person, da die Wirkung letzter Worte ohnedies von der tradierten Form, wie gut begründet auch immer, ausgeht. Guthke betont, dass es "Keinen Lackmustest" (S. 79) der Authentizität gibt. So gibt es auch zahlreiche Beispiele widersprüchlicher Sterbeworte. Von den Horstmannschen Beispielen nennt Guthke bei Picasso eine abweichende Variante ("die Malerei ist noch zu erfinden", S. 22), während das "Trinkt auf mein Wohl" vor Horstmann schon Paul McCartney zum Song ,Picasso's Last Words" inspirierte (Guthke, S. 38).
Es gibt eine lange Tradition von Wettbewerben und Preisausschreiben zur Erfindung passender Sterbeworte für berühmte Personen. Der Punkt ist also das Faszinosum der Sterbeworte, die zu einer bestimmten Person passen oder nicht.
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26. Guthke verweist u.a. auf die berühmtesten aller Sterbeworte, einerseits diejenigen von Jesus: "In deine Hände befehle ich meinen Geist", andererseits Sokrates' Worte zu Kriton: "Wir schulden dem Asklepios einen Hahn" (dem Gott der Heilkunst, der Sokrates mit dem Schierling von der langen Krankheit namens Leben heilt).
Oder als ,non plus ultra" für den Abgang eines Patrioten die Worte von Johann Zischka 1424: "Macht aus meiner Haut Trommelfelle für die Sache Böhmens" (s. Guthke 1990, S. 58).
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27. Auf den Punkt bringt den Sachverhalt Alice James 1891 mit dem Satz, der Tod sei "der allerinteressanteste Augenblick im Leben, in der Tat der einzige, in dem leben Leben heißt." Und bei Hofmannsthal weiß Claudio: "Erst, da ich sterbe, spür ich, daß ich bin." (Guhtke 1990, S. 74)
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28. Die letzten Worte des Untiers: "Vermonden wir unseren stoffwechselsiechen Planeten!
Denn nicht bevor sich die Sichel des Trabanten hienieden in tausend Kraterseen spiegelt, nicht bevor Vor- und Nachbild, Mond und Welt, ununterscheidbar geworden sind und Quarzkristalle über den Abgrund einander zublinzeln im Sternenlicht, nicht bevor die letzte Oase verödet, der letzte Seufzer verklungen, der letzte Keim verdorrt ist, wird wieder Eden sein auf Erden." (Horstmann 1983, S. 110f)
Teile davon werden mit Abstand am häufigsten aus dem Untier zitiert, v.a. der Vermondungs-Satz und "Wieder Eden auf Erden" sind der Quotenhit. Für sie gilt, was Brock (1986) über den Klappentext der Erstausgabe bemerkte: Sie bringen auf den Punkt, was im gesamten restlichen Text des Untiers nur mehr leicht variert wird. Das ist das für die Kritik so erhellende Erkennen, dass Horstmann tatsächlich eine Lehre des Ganzen, in der es nur um Eines (mit Variationen) geht, vertritt und keine kleinen Schritte und reflektierte Erkenntnisse bietet, sondern ein großer Wurf im Zentrum steht.
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29. So der Titel der von Horstmann verwendeten Anthologie von Jonathan Green.
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30. Nagasaki wird nicht oft erwähnt; im Untier jedoch schon: "die unserer Gattung am 6.8.1945 über Hiroshima, am 9.8. über Nagasaki aufgesetzten Lichter" (Horstmann 1983, S. 53), die den Weg zur menschgemachten Apokalypse leuchten... Das Frappierende an einer Stelle wie dieser: Horstmann meint es tatsächlich wortwörtlich.
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31. Der Begriff der kupierten Apokalypse stammt von Vondung, der in seinem Buch über die Apokalypse in Deutschland dazu ausführt: "stets kam es der Apokalypse letztlich auf diese neue Welt an; die Apokalypse war eine Erlösungsvision. Erst heute, unter der Drohung der 'von uns selbst gemachten Apokalypse', wie Günther Anders die 'Möglichkeit unserer Selbstauslöschung' nannte, ist die Erlösung nicht mehr im Blick. Wenn wir dennoch von der Apokalypse eines Atomkriegs sprechen, so haben wir es mit einer 'kupierten' Apokalypse zu tun. Wir können nur die erste Hälfte der herkömmlichen apokalyptischen Vision meinen; die zweite Hälfte, die Errichtung der neuen, vollkommenen Welt, die früher dem Untergang Sinn und Ziel verlieh, hat sich verflüchtigt" (Vondung 1988, S. 11 f).
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32. Ein Vorwurf Horstmanns in einer Rezension von Derridas Apokalypse: "so duldet auch die dekonstruktivistische Weltauslöschung im Zeichen der Zeichen keine Konkurrenz neben sich, nicht einmal die Vernichtungsmaschinerie im Zeichen des Wasserstoffs" (Horstmann 1986). Ebendieser Vorwurf lässt sich leicht gegen Horstmann wenden, der außer der absolut real gedachten Apokalypse "Wie ein Gott keine anderen Götter" (ebd.) duldet. V.a. jeder Gedanke an eine Wirkung des Diskurses von der Apokalypse jenseits eines realen Atomkrieges ist für Horstmann nicht akzeptabel. ,Postmoderne Abstauber" lautet das pauschale Verdikt Horstmanns (Horstmann 1991, S. 87).
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33. Die Kritik am Festhalten an diesen abstrakten Meta-Einheiten steht im Zentrum der Arbeit von Biella (1986). Biella kritisiert v.a. die fehlende intersubjektive Vermitteltheit des anthropofugalen Denkens, weil Horstmann nicht von einzelnen Vertragspartnern ausgeht, von denen seine Theorie geprüft werden könnte, sondern von einer feststehenden Einsicht in eine von ihm gesetzte anthropologische Grundverfassung. "Meinungsdiktatur" nennt Biella (1986, S. 149) Horstmanns Theorieführung.
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34. Bergfleths Szenario ist ein spätes Echo auf die Ölschocks der 70-er Jahre und den 1980er Diskurs der Bevölkerungsexplosion; den zeitgenössischen Hintergrund bildet wohl die Operation Desertstorm.
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35. Die Denkfigur des Selbstattentats stammt von Cioran 1979 (S. 65): "Indem die Natur den Menschen zuließ, hat sie viel mehr als einen Rechenfehler begangen: ein Attentat auf sich selbst."
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36. ,Philosophie war immer ein Minoritätenvergnügen und die pessimistische Spielart allemal. Und wieviel reflektierende Jünger braucht ein Philosoph denn schon auf einer Welt mit fünf Milliarden praktizierenden Schopenhauerianern." (Horstmann 1991, S. 105)
Redet Horstmann hier schon von Schopenhauer, oder doch von sich selbst? Es ist ein Text über Schopenhauer, aber mit ,Zeitgenossen, die Schopenhauer auf die hier skizzierte Art zu Ende denken, die Festtagsfreude verderben und deshalb vom akademischen Ordnungsdienst vor die Tür gesetzt wurden!" (ebd.) meint er v.a. sich selbst.
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37. Einer der Prognostiker der "grenzen des Wachstums" (Bericht 1972 für den Club of Rome), Dennis L. Meadows sieht in einem kürzlich erschienen Artikel (der einem im Frühjahr 2000 erscheinenden Bericht vorgreift) keine Möglichkeit mehr für ein Umlenken: "Für eine dauerhaft tragbare weitere Wirtschaftsentwicklung ist es zu spät. Um so mehr muss die Gesellschaft Abschied nehmen von einer Ideologie grenzenlosen Wachstums und Visionen entwickeln, wie sie mit dem Mangel umgehen wird" (Meadows 1999). Dem Computerprogramm World 3 zufolge wird der völlige Kollaps des Weltwirtschaftssysstems um 2035 stattfinden. Die abnehmende Fruchtbarkeit des Agrarlandes wird der auslösende Faktor sein, Überbevölkerung und versiegende fossile Brennstoffe werden ein übriges tun.
Der Zukunftsforscher Meadows, der sich in der geschmähten Position eines apokalyptischen Mahners sieht, insistiert, es ginge jetzt darum, Strategien für den Neubeginn nach dem Kollaps zu entwickeln. Ein Apokalyptiker, der die Hoffnung auf einen Neubeginn nach einer Apokalypse setzt, die er nicht als totale denkt/berechnet.
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38. "sterben nicht heute auch Tierarten und Wälder, als wollten sie damit etwas sagen?" raunt Slotderdijk (1993, S. 212). Was die Frage aufwirft, ob und was die Menschheit beim Sterben zu sagen hat (ihr Sterben vorausgesetzt).
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39. Die Gefahr bei der Überprüfung Horstmannscher Zitate bzw. die eigene Befragung seiner Zeugen, wie es Biella (1986) detailliert unternimmt, liegt meiner Ansicht nach darin, dass man sich auf diese Weise als Schüler, der seinem Lehrer überlegen sein will, präsentiert. Die Abgrenzung erfolgt durch eine detaillierte Widerlegung, und am Ende steht die Umschreibung bzw. Richtigstellung der Theorie des Lehrers an. Biella sieht denn auch "Eine Fruchtbarmachung anthropofugalen Denkens darin, die Menschenflucht [...] als negative Folie der Wirklichkeit - durchaus im Sinne der Satire - gegenüberzustellen, wie es zunächst auch beabsichtigt schien, um dann in philosophischer, an diesem negativen Ideal ausgerichteter Reflexion zu einer modifizierten Hinwendung zum Menschen, wie sie die Selbstbescheidung des Selbstbehauptungsanspruchs darstellt, zu gelangen" (Biella 1986, S. 157).
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40. Das Märchen ist hier abwertend gedacht, für "Haus und Kinder", und nicht für "Erwachsene"; eine interessante Studie über den geschichtlichen Prozess der Entmachtung des Märchens hat Richter (1989) am Beispiel der Schlaraffenland-Fantasie geschrieben.
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41. Dieser mythologisierte Exitus als Abschluss der (Menschen-)Welt entspricht der mythologisierenden Vorstellung vom Beginn der Welt: "Wen dünkte es nicht eine sinnreiche Fügung, daß wir jetzt, da der thermonukleare Endknall sich ankündigt, Trost bei der Astrophysik finden, die uns versichert, schon dem ersten Demiurgen seien weiland die Fetzen um die Ohren geflogen - worauf er sich an der Sprache seiner Geschöpfe schadlos hielt und die auseinanderstiebenden Trümmer des Urknalls mit feiner Ironie 'Kosmos' taufte." (Horstmann 1994, S. 37)
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42. Der Kosmos wird von Horstmann nicht als Natur aufgefasst, er ist noch in dem unberührten Zustand, in den die Erde wieder überzugehen hat.
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43. Das Atomzeitalter übertrifft auf diese Weise alle einst in es gesetzten Erwartungen, die von grenzenloser Energieerzeugung bis zu medizinischen Wundern reichten.
Das Atomzeitalter spannt einen Bogen von den kleinsten Teilchen bis zum Super-Grössten-Anzunehmenden-Unfall, und entspricht darin dem Totalitätsanspruch der Apokalypse zumindest für den irdischen Gebrauch. Was die biblische Apokalypse darüberhinaus noch kennt, ist die kosmische Dimension (die ganze Welt wird vernichtet), die für jeden zeitgenössischen Apokalyptiker jenseits jeder Vorstellung liegt.
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1. kingdom come 2. the curtain has fallen 3. join the great majority 4. give up the ghost 5. be given a gentle push 6. the great adventure Literaturverzeichnis samt Linx Inhaltsverzeichnis und Gästebuch
life is a highly overrated phenomenon
Zur Theorie des männlichen Weltuntergangs bei Ulrich Horstmann

Diplomarbeit von Thomas Jöchler © 2000