6.4 "Einsamer Messianismus"
Mit den beiden Retterfiguren Veidt (= Ozymandias) und Dr. Manhattan (= Ostermann)
erschließt sich ein weites Spektrum apokalyptischen Handelns, das ich
im folgenden näher beleuchten werde.
Die Figur Dr.Manhattan verweist überdeutlich auf ein den gesamten Comic
durchziehendes Thema, das der Zeit. Schon im Titel ist die Frage nach der Zeit,
die bis zum Eintritt der Apokalypse verbleibt, präsent. Die Watchmen sind
Beobachter und Wächter ,
aber sie sind auch Männer - und Frauen - der Uhr. Der Comic rollt die individuellen
Vergangenheiten der Protagonisten aus einer gemeinsamen Gegenwart auf, der Rückblick
auf die Geschichte der einzelnen Figuren findet zu einem Zeitpunkt statt, in
dem die Gegenwart in ihrer Existenz bedroht ist, da die große Apokalypse
droht . Sie würde mit
der Gegenwart die Vergangenheit auslöschen, derer sich die Helden im Comic
sozusagen kurz vor dem Ende noch einmal vergewissern, bzw. die einer wiederholten
Befragung ausgesetzt wird.
Für eine genrespezifische Betrachtung ist hierbei zu betonen, dass Superhelden
ein erstes Mal eine Geschichte bekommen, die als interpretierbare gezeigt wird:
,Über weite Strecken hinweg findet nichts anderes statt als die Bewältigung
einer fiktiven Vergangenheit mit dazugehörigen Neubewertungen" (Apeltauer
1992, S. 70). Helden wie Superman oder Batman haben zwar ihren Gründungsmythos
(Verlust der Eltern, traumatisches Erlebnis, Schwur gegen das Böse zu kämpfen),
haben ansonsten aber keine zeitliche Dimension, sie sind weisse Blätter,
denen keine persönliche Geschichte eingeschrieben ist .
Dr. Manhattan ist am deutlichsten ein Mann der Uhr. Seine Ausbildung im Beruf
seines Vaters als Uhrmacher, die er auf Druck desselben zugunsten der Atomphysik
abbricht ("My profession is a thing of the past. Indstead my son must have a
future", WM IV, 3.) befähigt ihn, sich selbst wie eine Taschenuhr
wieder zusammenzusetzen, nachdem er bei einem Unfall (der den Geschlechtsakt
der herkömmlichen Menschenproduktion ablöst) atomisiert wurde . Nach dieser Selbstreparatur hat er in der Tat die Zukunft, die sein
Vater für ihn gewünscht hatte, er ist unsterblich geworden und altert
nicht.
Dr. Manhattan überwindet das apokalyptische Zeitschema, indem er sich
aufgrund seiner persönlichen Zerstörung und Wiederherstellung schon
in der permanenten Zukunft, die die Apokalypse nach der Zerstörung verspricht,
befindet. Mit dem apokalyptischen Denken geht eine Dreiteilung der Zeit einher.
Ein Nullpunkt der Gegenwart wird als eine Trennlinie zwischen einem Davor und
einem Danach etabliert, die Hoffnung auf eine Überwindung dieser Spaltung
wird durch die Spaltung selbst erzeugt und auf einen bestimmten (oder unbestimmten
- dauerndes Warten auf die Apokalypse) Punkt proijiziert. Die verbliebene Zeit
bis zum Umschlagpunkt des dreiteiligen Zeitschemas in eines einer permanenten
Gegenwart (bzw. eines permanenten Nullpunkts) ist die Frist, die das apokalyptische
Denken über die Welt verhängt, die Uhr tickt, die Zeit läuft.
Und sie läuft ab.
Der irdische Messias Veidt kennt die Frist, die die Erde hat, er rechnet wie
der Club of Rome hoch und weiss (in apokalyptischer Gewissheit) das Datum der
Apokalypse dreissig Jahre im voraus zu bestimmen; er sieht in der Gegenwart
der späten 1950er bereits die zukünftigen Probleme Mitte der 1980er
(das trotz Manhattan unaufhaltbare Wettrüsten der Supermächte) und
plant daher eine reale Apokalypse im kleinen zur Friedensherstellung. Wie für
den Supermenschen Dr. Manhattan die Erde ein beliebiger Planet geworden ist,
so ist die Erde für die Atomkriegsvisionen Veidts eine kleine bedrohte
geworden, die Welt ist ihm zum globalen Dorf geschrumpft, als dessen Retter
er sich inszeniert - und dabei auch vor einem Vergleich mit Hitler nicht zurückschreckt
(WM XI, 26).
Im atomic age des Comic kulminiert also das Ablaufen der Zeit in einer miniaturisierten
Apokalypse, die mit dem Umbruch in unserer Welt Ende der 1980er Jahre in gewisser
Weise verglichen werden kann. Die Wahrscheinlichkeit des finalen atomaren Showdowns
ist in der fiktiven Comicwelt wie in der realen nach der Apokalypse wesentlich
gesunken, die Welt ist zu einer Welt geworden. Das Schrumpfen des Planeten zu
einem globalen Dorf kann auch als Folge des atomic age gesehen werden, bzw.
der global verhängten Apokalypsedrohung eines Atomkriegs (aber etwa auch
der Umweltzerstörung). Inszenierte die Apokalypse des Johannes noch die
buchstäbliche Vernichtung des gesamten Kosmos, so kennt die moderne Apokalypse
diese Perspektive schon lange nicht mehr. Die Schrumpfungsfunktion der Apokalypse
betrifft einerseits das Ausmaß der Zerstörung bzw. den Gültigkeitsanspruch
der Offenbarung, andererseits spiegelt die Apokalypse die vorherrschende Auffassung
der conditio humana wider. Die Erkenntnis, dass der Planet durch Menschen zerstört
werden kann, ist zugleich auch die Einsicht, dass nur der Planet zerstört
werden kann. Eine der viel beschworenen modernen Kränkungen der Menschheit
besteht somit im Eingeständnis dieser gegenüber dem göttlichen
Gerichtstag beschränkten Zerstörungsfähigkeit.
Wenn sich Veidt abmüht, um in einem Akt grenzenlosen Narzissmus als Menschheitsretter
("I did it", WM XII, 19) zu reüssieren, dann kann er damit in der
Konfrontation mit Dr. Manhattan nicht die quasi göttliche Würdigung
erhalten, die er sich erhofft (WM XII, 27). Der Übermensch hat das beschränkte
Zeitverständnis der Apokalypse überwunden und das Humanum verlassen.
Dem linearen Zeitbegriff Veidts hält er seinen zyklischen entgegen (,Nothing
ends, Adrian. Nothing ever ends", WM XII, 27). Er hat sich durch seine
Privatapokalypse den neuen Leib verschafft, der in der klassischen Offenbarung
den Gläubigen versprochen wurde. Er hört damit auf Mensch zu sein;
am Ende verlässt der blaue Gottähnliche folgerichtig den blauen Planeten.
Der Comic signalisiert mit der Flucht Dr. Manhattans auch das Ende des atomaren
Zeitalters und beweist damit ebenso wie mit der Vorhersage einer One World seine
prognostische Fähigkeit .
Die Apokalypse Veidts ist keine atomare sondern mit dem alien monster eine biotechnische
(vgl. Horstmann's Hochschätzung der Biowaffen, Horstmann 1983, S. 68 f); sie zeigt die
neue Zeit an, die mit dem Millennium ein neues Menschenbild etabliert (vgl.
die Anmerkungen zu Foucaults Tod des Menschen in dieser Arbeit).
Das im Comic neuerrichte irdische Paradies in Form der One World des Ozymandias
stellt wie die in der realen Welt nach 1989 verkündete New World Order
eine brüchige Harmonie dar . Dr. Manhattan, der präsentische Gott aus dem Atom, hat sich von
dieser scheinbaren Harmonie verabschiedet und die Galaxie zugunsten "Einer weniger
komplizierten" (WM XII, 27) verlassen. Seine Vorstellung vom Paradies ist
wie die von Horstmann ,nur ohne den Menschen zu haben" (Horstmann 1996, S.27).
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