5.3 "Baby, we were born to run"
Und die Sonne geht auf
und die Erde geht unter
ganz oben steht der Mond
und er schaut jeden Tag auf die Erde herunter
von seinem Blick bleibt nichts verschont
(Rocko Schamoni) |
Horstmann denkt nicht in technologischen Begriffen, er entwirft keine
Theorie der Bombe oder der Rakete, sondern eine Theorie der Zerstörung,
der Vernichtungsgrade. Dabei streift er militärtechnologische
Aspekte lediglich am Rande (Horstmann 1983, S. 59-67). Das Horstmannsche Anliegen
ist weniger die praktische Seite, die er ja den "Handfestere[n]
Mentalitäten" der "Kollegen von der naturwissenschaftlichen
Fakultät" (Horstmann
1996, S. 31) überlassen will, als vielmehr die Idee der Menschenleere.
Und diese Idee entspricht genau der "Herstellung des Nichts an
der Stelle des falschen bisherigen Etwas" (Sloterdijk 1994, S.23).
Wie Sloterdijk greift Horstmann dabei auf die Urgeschichte der Menschheit
zurück, wie dieser sieht er keine Schwierigkeit, eine zeitgenössische
Diagnose mit Menschheitskonstanten zu begründen. Horstmann zielt weniger
direkt auf den Augenblick der Menschwerdung ab als Sloterdijk. Aber
auch bei ihm erhebt sich der Mensch aus der Natur, indem er sich
seiner Macht zu töten bewusst wird. Horstmann feiert dabei nicht eine
motorische Technik wie Sloterdijks "Laufen-und-Werfen-können",
sondern den menschlichen Geist und sein "Materielles Substrat" (Horstmann
1983"s. 77), das Gehirn. Für Horstmann entstehen alle waffentechnischen
"Errungenschaften" der Menschheit aus einer biologischen Grundausstattung
als "Mängelwesen" (nackt, wehrlos, hilflos, aber großes
Gehirn) .
Eine Argumentation mit behaupteten "Ewigen" menschlichen Eigenschaften
kann eine historisch-kritische Befragung in keiner Weise ersetzen,
obwohl sie genau dies beabsichtigt. Fragen nach Ursachen von Gewalt
und Zerstörung werden in einem menschlichen "Wesen", in einem
Ursprung verankert, um so festgeschrieben unverrückbar ihre
Erklärungsmacht demonstrieren zu können. Der Anspruch
dieses essentialisierenden Festmachens ist schon insofern problematisch,
als der Ursprung einerseits jeder historischen Befragung zeitlich
vorausgehen soll, andererseits nur als Objekt der Geschichte aufgegriffen
werden kann. Um diesem Widerspruch zu entgehen, wird der Anfang
vor die Geschichte gesetzt, wird ein willkürlicher Schnitt
vollzogen, der einen Zeitpunkt festlegt, an dem die Geschichte beginnt.
Es wird ein Anfang konstruiert, der Sinn stiftet und Wahrheit verbürgt.
Der Moment der Menschwerdung bei Sloterdijk markiert einen Übergang,
eine Überwindung, einen Sieg über ein idyllisch, aber
unmenschlich vorgestelltes Im-Einklang-mit-der-Natur-sein. Die Vorstellung
des angeblich vor dem Ursprung des Menschen liegenden Paradieses
(der Mensch war drin, musste aber wieder raus, lehrt der biblische
Mythos; schuld war die Frau; vgl. dazu auch Fussnote 59) ist ebenso wie
das Fokussieren der Geburt des Menschen aus einem Gewaltrausch eine
naturalisierende Entrückung sogenannter Menschheitsprobleme
.
Bei einer Gefährdung des Konzepts "Mensch" wird auf den vorausgesetzten
ersten Moment des "Menschen" in einer Weise zurückgeblickt,
als wäre der Mensch gestern aus dem Tierreich entlaufen. Das
Konzept "Mensch" als Vernunftwesen sieht Sloterdijk gefährdet,
wenn er zu Beginn seines Terminator-Aufsatzes schreibt:
"Wir gehen unseren normalen - oder pseudonormalen
- Tätigkeiten nach, während in New York Bomben in Parkgaragen
explodieren, in Bombay Stadtviertel brennen, serbische Soldaten
im Rausch Dörfer planieren und triumphale Blickkontakte suchen
zu den gefangenen Frauen, die ihren Vergewaltigungen preisgegeben
sind, während deutsche Brandflaschenwerfer Häuser und
Menschen anzünden und Kinder überall im Westen bei elektronischen
Exterminierungsspielen in Ekstase geraten." (Sloterdijk 1994, S.
14)
Der Alltag im "allgemeinen Realitätskessel" besteht darin,
"Mitwisser und Konsument einer ununterbrochenen Gewaltagitation
und Gewaltinformation zu werden" (Slotderdijk 1994, S. 13).
Nach der lähmenden Periode der Nuklearen Abschreckung, nach
dem Kalten Krieg, tritt Gewalt für die Wahrnehmung bestimmter
Wirklichkeitssichten (z.B. auch für Enzensberger in den Aussichten
auf den Bürgerkrieg 1993) wieder offen zutage. Und flugs gerät
das Verständnis vom Menschen in eine Krise, die nur mit dem
Rückgriff auf den Ursprung behoben werden kann.
In den 80ern schaffte die Reaktivierung von Freuds Todestrieb-Konzept
(wie unpräzise interpretiert auch immer) ein Verständnis
und eine Legitimierung des Wettrüstens mit als selbstmörderisch
aufgefassten Konsequenzen. Das "Weltgeschehen" wurde dabei re-individualisiert,
die jeden Einzelnen betreffende mögliche Apokalypse wurde auch
in jedem Menschen durch einen Ur-Trieb dingfest gemacht. Je nach
politisch-moralischer Ausrichtung der Argumentation wurde ein Kampf
für das Überleben, der nur über den Kampf gegen "die
Bombe in uns" führen konnte , oder eine Politik der "unausweichlichkeit" mit finalem
Vertrauen in metaphysische Instanzen propagiert .
Das Untier ist ein Paradebeispiel für diese Rückkoppelung
des Allgemeinen ins besonders Individuelle. Nach Horstmannschem Selbstverständnis
geschieht dies allerdings ohne Zugehörigkeit zu einer der beiden
von mir skizzierten Denkfiguren, also weder im Namen einer gesinnungsethischen
Friedensbewegung noch eines Machtzynismus. Ungeachtet dieser Selbsteinstufung
bleibt als zentrales Element festzuhalten: Die Verbindung von individuellem
Menschenschicksal mit kollektiver Menschheitsgeschichte (vergangener
und zukünftiger) erfolgt mittels einer Erklärung beider
aus einer Urszene der Menschwerdung.
Eben nichts anderes beansprucht Sloterdijk in seinem Terminator-Aufsatz
zu leisten: Das "In-der-Gewalt-Sein" ( Sloterdijk 1994, S. 15) als
menschliche Grundkonstante, als spezifisches Humanum, zu begreifen.
Wie Sloterdijk ortet Horstmann eine Krise des Konzepts "Mensch", der
er allerdings in positive Aspekte abgewinnt. Aufschlussreich hierfür
ist Horstmanns Rezeption von Foucaults Wette auf das Verschwinden des Menschen
"Wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand" (Letzte Worte der Ordnung
der Dinge; Foucault 1995, S. 462).
In einem bereits 1975 entstandenen Text über Science Fiction
führt Horstmann den Begriff des "anthropofugalen" Denkens ein und
kommt dabei auch auf Foucault zu sprechen. Horstmann bespricht in diesem
Text Entwicklungsrichtungen zeitgenössischer Science-Fiction-Literatur.
Die "große Chance hochqualifizierter Science-fiction" (Horstmann
1975, S. 87) den trivialen Eskapismus zu überwinden sieht Horstmann
dabei im Abbau anthropozentrischer Perspektive. Für diese anthropofugale
Literatur gelte der Satz vom Menschen als Maß aller Dinge
nicht mehr.
"Eben deshalb aber kann und muß sie dem menschlichen
Intellekt das Äußerste abverlangen: das Imaginierens
[sic!] eines Szenariums seines eigenen Verschwindens, die fiktionale
Ratifizierung seiner eigenen Nicht-Existenz." (Horstmann 1975, S. 90)
Dieses "Programm" sieht Horstmann "inzwischen auch von berufener philosophischer
Seite her aufgenommen und in einem epistemologischen Diskurs auf
einen ersten und vorläufigen Begriff gebracht" (ebd.). Nämlich
in Die Ordnung der Dinge von Foucault. Für Horstmann endet "dieses
diffizile Werk ganz wie ein guter anthropofugaler Science-fiction
Roman" und er zitiert aus dem letzten Absatz des Buchs von Foucault:
"Der Mensch ist nicht das älteste und nicht
das konstanteste Problem, das sich dem menschlichen Wesen gestellt
hat...
Der Mensch ist eine Erfindung, deren junges Datum die Archäologie
unseres Denken ganz offen zeigt. Vielleicht auch das baldige Ende.
Wenn diese Dispositionen verschwänden, so wie sie erschienen
sind...dann kann man sehr wohl wetten, daß der Mensch verschwindet
wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand." (zit.ebd.)
Auch in Das Untier greift Horstmann den letzten Halbsatz von Die Ordnung
der Dinge auf. Er schränkt ihn aber in der Brauchbarkeit für
die menschenflüchtige Theorie ein:
"gewiß, dieser Satz ist bei Foucault noch
nicht unmittelbar existenziell, als Vorhersage apokalyptischer Selbstaufhebung
also, gemeint, sondern prognostiziert lediglich die Ablösung
einer humanistischen Episteme, d.h. einer am Menschen ausgerichteten
Organisationsform des Wissens, zugunsten einer dem Subjekt höchst
indifferenten Ordnung der Dinge." (Horstmann 1983, S. 92)
Dennoch soll Foucault Kronzeuge für Horstmanns Projekt bleiben,
denn "schon anthropofugale Epistemologie besitzt in einer humanistisch
okkupierten und reglemenierten kulturellen Umwelt wichtige Brückenkopffunktionen"
(ebd.), und einen Brückenkopf darf man nicht kampflos aufgeben,
das lehren auch verlorene "Vorbereitungskriege"
.
Kaum wieder in die Ahnenreihe aufgenommen wird Foucault auf der
nächsten Seite jedoch endgültig abgeurteilt:
"Foucault ist - wie seine strukturalistischen Weggenossen
- ein Wiederentdecker, der sich trotz seiner Belesenheit und Kenntnis
der Philosophiegeschichte auf philosophischer terra incognita fühlt
und vergessen hat, daß das, wer er so mühsam vermißt
und auskundschaftet, schon einmal kartographiert und auf den Begriff
gebracht worden ist. Dieser Irrtum ist tragisch, denn das humanistische
Interregnum, das er bekämpft und zu beenden sucht, demonstriert
so noch im Sturz seine Macht über den Insurgenten, indem es
ihn von den anthropofugalen Traditionen abschneidet, deren Kenntnis
seinen geistigen Weg müheloser, seine Einsicht tiefer und seine
Perspektive weiter hätte werden lassen." (Horstmann 1983, S. 94)
Horstmann bemächtigt sich also zuerst Foucaults um ihn danach zu schulmeistern und mit einer unerträglichen
Selbstbeweihräucherung abzuservieren. Horstmann missinterpretiert
Foucault, zitiert aus dem Zusammenhang herausgerissen, und versteht
ihn gewollt falsch. Er weigert sich, zu akzeptieren, dass Foucault
mit dem "Ende des Menschen" bestimmte Diskurspraktiken der Humanwissenschaften
im Blick hat. Es geht bei Foucault nicht um "die" oder "den" Menschen,
sondern um Wissens- bzw. Machtzugriffe auf ein "Thema Mensch". Foucault
kann nicht für Horstmanns Kampf gegen einen "Humanismus" gewonnen
werden . Foucault
spricht viel eher von Anthropologie:
Die anthropologische Konfiguration der modernen
Philosophie besteht in der Spaltung des Dogmatismus, darin, ihn
in zwei verschiedene Ebenen aufzuspalten, die sich gegenseitig stützen
und gegenseitig eingrenzen: Die präkritische Analyse dessen,
was der Mensch in seiner Essenz ist, wird zur Analytik all dessen,
was sich im allgemeinen der Erfahrung des Menschen geben kann."(Foucault
1995, S. 411).
In der Anthropologie (nicht mehr im Dogmatismus wie bei Kant)
besteht der ,neue Schlaf" der Philosophie, aus dem sie nur mittels
des "Ende des Menschen" erwachen kann:
"In unserer heutigen Zeit kann man nur noch in der
Leere des verschwundenen Menschen denken. Diese Leere stellt kein
Manko her, sie schreibt keine auszufüllende Lücke vor.
Sie ist nichts mehr und nichts weniger als die Entfaltung eines
Raumes, in dem es schließlich möglich ist, zu denken."
(ebd., S. 412)
Mit seinem Programm der "anthropofugalität" steht Horstmann in der
Tradition des anthropologischen Denkens. Es geht ihm nicht um ein
Denken in einem vom "Konzept Mensch" leeren Raum, sondern es geht
ihm um das Denken einer empirischen Leere von den realen Menschen.
Es ist ein Wortwörtlich-Nehmen, das Horstmann nicht als solches erkennen
kann. Der Begriff "Mensch" steht für ihn außer aller
möglichen Diskursfähigkeit, kann nicht auf seine Geschichte
und Legitimierung hin befragt werden. Mit der Kennzeichnung des
Menschen als Untier definiert Horstmann Wesen und Essenz des Menschen.
Das Untier erhält die Auszeichnung und Aufgabe, das "Ewige
Gesetz" endlich zu vollstrecken, dem "urimpuls" folgend den "garten
Eden" wiederherzustellen, das Leben zurückzunehmen in das Anorganische.
Eine historisch-diskursive Beleuchtung des "Konzepts Mensch" ist
in diesem Programm nicht vorgesehen.
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