2.2. Absender und Adressaten der Apokalypse
"And if there be a hell upon earth, it is to be found in a melancholy man`s heart." Robert Burton |
Der angesprochene Aufsatz von Horstmann aus dem Jahre 1989, der als Leitfaden für die vorliegende Arbeit dient, bietet eine Zusammenfassung und erläuternde Rechtfertigung, aber auch eine Einschränkung bestimmter Positionen der im 1983 erschienen Untier präsentierten Thesen. Dieser Aufsatz liegt in mehreren Versionen vor.
Da diese Versionen jedoch im Wesentlichen identisch sind, wird in weiterer Folge unter dem Titel Endspiele/Thanatos-Aufsatz stets von einem Text die Rede sein. Eine divergierende Textpassage möchte ich jedoch in zwei Zitaten anführen:
"spätestens seit Veröffentlichung jener 'Konturen einer Philosophie der Menschenflucht', für deren Nachzeichnung auf dem Titelblatt ein ominöses Wesen namens Das Untier die Verantwortung übernimmt, stehe ich in dem Ruch, ein Bruder Lustig des Weltuntergangs, der Menschheitsdämmerung und Apokalypse zu sein. Im Solde des Pentagon oder noch ungleich sinisterer Mächte, so die Einsichten einiger Kommentatoren, obliege ich der Zersetzung von Glaube, Liebe, Hoffnung, rede und zitiere unermüdlich das Unheil herbei, feiere in meinen literarischen Hervorbringungen einen Hexensabbat nach dem anderen und kann es gar nicht abwarten, endlich in Reichweite jenes roten Knopfes zu gelangen, den ich so liebend gern statt des Kugelschreibers befingerte. Bis es soweit ist, halten mich mitfühlende Zeitgenossen mit der einen oder anderen Vortragseinladung bei Laune und legen mir Themen wie Thanatos als Lustprinzip nahe, bei denen ich so ganz nach Herzenslust vom Leder ziehen darf." (Horstmann 1996, S. 25)
"Es gibt Leute, die können das Ausnüchtern nicht leiden - nicht bei sich und noch weniger bei anderen. Deshalb haben sie sich ein Schimpfwort einfallen lassen für diejenigen, die das anstehende Jahrtausendende nicht im Vollrausch des Fortschritts erleben möchten, sondern ihren weltanschaulichen Kater lieber vorher hinter sich bringen: 'Lust am Untergang'. Nicht daß ich böse wäre, selbst als ein solcher Bruder Lustig verschrien zu sein. Ich habe volles Verständnis für alle diejenigen, die nicht von der Bildfläche verschwinden wollen [...]. Aber der Sache auf den Grund gehen muß man doch einmal." (Horstmann 1991, S. 31)
Diese beiden Zitate sind die jeweils ersten Zeilen zu zwei ansonsten im wesentlichen identischen Texten. Das doppelte Eingangszitat verweist nicht nur auf eine bestimmte Veröffentlichungspraxis sondern vor allem auf ein zentrales Motiv, das sich im Bild des ,Bruder Lustig" in beiden Textvarianten findet.
Dieses zentrale Motiv ist eines der großen Spezialgebiete jeder im weitesten Sinne apokalyptischen Rede: Die Verknüpfung eines katastrophisch gedachten Menschheitsschicksals (des Weltuntergangs) einerseits mit dem persönlichen Schicksal des Autors und andererseits mit dem des/der Adressaten der apokalyptischen Rede.
Die Funktionsweise von Apokalypsen liegt zentral in dieser Verknüpfung eines Weltschicksals mit individuellem Erleben. Ein Spannungselement bei der Apokalypse entsteht ja etwa aus der Frage, ob das angekündigte Ende der Welt noch vor dem Ende des jeweiligen Einzelschicksals stattfindet.
Die beiden zitierten Eröffnungen installieren im Eingehen auf Widerstände
gegen eine Theorie und den Theorieproduzenten einen Spannungsbogen, der exakt
die Kluft zwischen dem Einzelnen (als Autor, Verkünder, Prophet der Apokalypse
bzw. als individuell vom Untergang Betroffener) und einer kollektiven Größe
(die Welt, die Menschheit, das Leben) nachzeichnet. Im apokalyptischen Programm
erfolgt die Überwindung dieser Kluft dadurch, dass in letzter Konsequenz
eine verschmelzende Einheit im Untergang hergestellt wird. Die "Lust am Untergang"
dürfte sich genau diesem Phänomen verdanken. In den beiden Zitaten
bleibt jedoch unklar, was mit Untergang und Lust daran gemeint sein könnte,
wenn lediglich behauptet wird, es gäbe beides oder keines.
Festzuhalten bleibt, dass es bei einer Theorie, die "aufs Ganze geht",
"Keine halben Sachen" (Brock 1986, S. 182) gibt, d.h. dass der Einsatz
des Autors zur Legitimierung der Theorie die eigene Person ist. Daran knüpfen
sich mehrere massive Probleme einer Auseinandersetzung mit der Theorie:
Einmal die kurz angedeutete persönliche Betroffenheit
des Autors Horstmann. Diese spielt in vielen nach dem Untier veröffentlichten
Texten, v.a. in den seinem ironisierenden Selbstverständnis als "Ein halber
Literat, ein halber Philosoph, ein halber Philologe" (Horstmann 1991, S. 77) entsprechenden
aphoristischen Texten, eine große Rolle. Der Entwicklung Horstmanns vom Apokalyptiker
zum "Kulturkritiker" ist das personenbezogene Element derart inhärent,
dass ich keine Möglichkeit sehe, Kritik nicht auf einer persönlichen
Ebene anzubringen.
Ein anderer Effekt des aufs Ganze Gehens ist das Verbürgen der Theorie
mit eigener Lebenspraxis. Die Kritik an Horstmann hat ja in der Tat, wie in den beiden
Eröffnungen mokiert, genau darauf verwiesen, dass eine Theorie des gewollten
Gattungsendes der Menschheit den Urheber notwendigerweise in die Pflicht nimmt,
den eigenen Anforderungen zu entsprechen. Gipfelpunkt dieses Ansatzes ist sicherlich
die Aufforderung an Horstmann zum Suizid, wie sie der ehemalige österreichische
Präsidentschaftskandidat und Zukunftsforscher Robert Jungk in einer Fernsehdiskussion
1991 (Horstmann 1991b) ausgesprochen hat.
Um diese Schwierigkeiten einer Verknüpfung des Autors mit seinem Werk
zu umgehen, zielt meine Arbeit im folgenden darauf ab, wesentlich mehr Gewicht
auf die Theorie als auf die Person des Theorieproduzenten zu legen. Durch den
Druck auf die Theorie wird die Person ohnedies zum Vorschein kommen. Die Verbindung
zwischen dem Apokalyptiker und der von ihm verkündeten Apokalypse ist aufgrund
des absoluten Wahrheitsanspruchs der Verkündung und der absoluten Realitätsbemächtigung
durch das verkündete Geschehen nicht ohne weiteres aufhebbar. Das Modell
des Sehers, des Vorab-Wissenden präsentiert eine Person, die eine ihr unabänderbar
scheinende Zukunft im vorhinein erfährt. Der umfassende Geltungsanspruch
der Apokalypse hat in der herausgehobenen Position ihres Visionärs die
individuelle Entsprechung.
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