5.4 Der Computer
Auch zur dritten Weltkriegserfindung,
dem Computer, finden sich Benennungen technischer Erfindungen als
männliche Geburtsvorgänge unter Ausschluss von Frauen. Ich
zitiere aus einem Artikel in einer Computerzeitschrift zum mutmaßlichen
30.Geburtstag des Internet. Bei diesen Stellen geht es jedoch weniger
um die Hervorbringung der realen Mittel der Apokalypse, es steht mehr
die Selbstbenennung der technischen Leistungen als Geburten im Vordergrund:
,Begonnen hatte alles am...Ja, wann denn eigentlich?
Wie immer bei teilweise nur mündlich überlieferter Geschichte
und vielfältigen Interessen an der Historie gibt es diverse
Stichtage. Wie wäre es mit dem 2.September 1969? An diesem
Tag wurde im Labor von Leonard Kleinrock an der Universität
von Kalifornien in Los Angeles (UCLA) der erste Computer an einen
Interface Message Processor (IMP) angeschlossen. 'Wir hielten das
nicht gerade für einen historischen Moment', erinnerte sich
Kleinrock gegenüber einem AP-Reporter. 'Wir hatten nicht einmal
eine Kamera dabei. Aber es war die Geburtsstunde des Internet.'
Der IMP war ein mächtiger Klotz von einem Spezialrechner [...],
der nach militärischen Normen von der Firma Bolt, Beranek &
Newman [...] gebaut worden war. Der Rechner musste mit einem Kran
in Kleinrocks Labor gehievt werden." (Borchers et.al. 1999, S. 128).
Voll ausgewachsen zur Welt gekommen, und seine Schreie wurden
doch weiter als bis zur nächsten Farm gehört. Das erste
Netz war am 10.10.1969 mit insgesamt vier IMPs (L.A., Stanford,
Santa Barbara, Salt Lake City) etabliert.
Für diverse andere mögliche Daten, an denen sich die "geburtsstunde"
des Internets festmachen ließe, gilt:
"die Genialität, die man den Entwicklern des
Internet aus heutiger Sicht zuschreibt, wird von den Technikern
eher spöttisch kommentiert. Ken Klingenstein, der für
die Simplizität des von ihm entwickelten SNMP (Simple Network
Management Protocol) geehrt wurde, klärte den genialen Wurf
im Interview auf: 'Mir kam die Idee zu SNMP in einer Bar auf dem
Weg nach Hause. Ich nahm eine Serviette des Drinks und schrieb alle
Befehle auf. Es mussten einfach wenige sein, weil die Serviette
so klein war'" (ebd., S. 130).
Auch weitere Erfindungen werden verniedlicht:
Len Kleinrock erfindet E-Mail wegen seines vergessenen Rasierers.
Ray Tomlinson macht den Klammeraffen @ zum Teil der User-Adresse,
weil er das Zeichen auf seiner Tastatur sonst am wenigsten benötigt.
Vint Cerf schreibt die ersten Skizzen zum Kommunikationsprotokoll
des Internets (TCP/IP) auf die Rückseite der Bedienungsanleitung
seines Hörgeräts. Derselbe Vint Cerf hat die Idee für
ein transgalaktisches Protokoll, mit dem lange Laufzeiten von Datenpaketen
bei der Kommunikation zwischen Mars und Erde überbrückt
werden können, bei einem Schaumbad (vgl. ebd., S. 129f).
Den ersten Dialog zwischen zwei IMPs an jenem 10.10.1969 beschreibt
Kleinrock so:
"Wir tippten also das L ein und fragten am Telefon
'Seht ihr das L?' 'Wir sehen es', war die Antwort. Wir tippten das
O ein und fragten 'Seht ihr das O?' 'Ja, wir sehen das O!' Wir tippten
das G ein... und die Maschine stürzte ab." (ebd., S. 129).
Kein "LOGIN" beim ersten Versuch.
Der schon erwähnte Vint Cerf hatte jedenfalls auf allen Geburtstagsfeiern
für das Internet seinen Spaß, hat er doch ,bei MCI Worldcom
den PR-Job eines Vaters des Internet" (ebd., S. 128) inne.
Der Punkt ist für mich: Techniker gehen ihrer Arbeit nach
und haben an einem bestimmten Moment das Gefühl, etwas Besonderes
gemacht zu haben. Oder es stellt sich im nachhinein heraus, dass
es etwas Besonders war. Und dann wird der Vorgang der Erfindung
als Geburtsvorgang beschrieben. Die anekdotischen Beschreibungen
verklären das "Vaterwerden" zur banalen Alltagshandlung. Die
Väter der Technik bekennen sich gleichsam nicht mehr zu ihrer
Zeugungstätigkeit. Statt Vätern im klassischen Sinn gleichen
sie eher dem klassischen Bild weiblicher Empfängnis. Die Ideen
liegen in der Luft und befruchten die passiven Techniker. Stand
bei früheren Beschreibungen technischer Geburtsvorgänge
die männliche Bemächtigung der Geburtstätigkeit im
Vordergrund ("der Natur ihre Geheimnisse entreissen"), so ist die
Entstehung des Internet eine Folge von Zufallsschwangerschaften.
Die (Selbst-)Beschreibungen der Tätigkeit der Atomtechniker
markieren in diesem Zusammenhang eine Änderung im (Selbst-)Verständnis
technologischer Erkenntnisgewinnung. Der Techniker und Wissenschaftler
als autonom Handelnder ist zwar noch sehr stark vorhanden (vgl.
etwa die Figuren Oppenheimer oder Braun), gleichzeitig übernimmt
eine dem wissenschaftlichen Prozess innewohnende (oder ihm eingeschriebene?)
Eigendynamik das Kommando. Das explizite Verweisen auf metaphysische
Instanzen (wie für Oppenheimer zitiert) belegt diese Veränderung
im wissenschaftlichen Bewusstsein, die in den 1980er Jahren etwa
im Diskurs über das Schlagwort Restrisiko (v.a. der zivilen
Atomtechnologie) auf breiter Ebene rezipiert wurde.
Die Folie dieses Vorganges ist der gegenüber einem theologischen
Weltmodell beschränkte Zeithorizont wissenschaftlichen Denkens
und Handelns. Das Fehlen des langfristigen Horizontes belegen z.B.
die bemühten Konstruktionen einer für unsere Kinder zu
bewahrenden Welt von morgen. Das Problem liegt darin, dass ohne
langfristiges Zeitmodell Technologien entwickelt werden, die hier
und heute paradiesische Zustände ermöglichen sollen. Dabei
werden Kräfte einer bezwungen geglaubten Natur freigesetzt,
die irreversibel sind (vgl. Anders' berühmte Formulierung vom
nicht mehr aus der Welt zu schaffenden Wissen um die Atombombe:
"Einmal Atombombe, ein für alle Male Atombomben", Anders 1981,
S.56).
Horstmann verschränkt im Untier diese Freisetzung von Naturkräften
(Atomtechnik, Biotechnik), die zu einer infantilen Ohnmacht der
Technokraten führte, mittels der Behauptung eines umfassenden
natürlichen Todesantriebs mit der in Gefahr geratenen menschlichen
Beherrschungskompetenz. Aus der "unvermeidbarkeit der Apokalypse"
(zit. bei Vondung 1988, S. 108) destilliert Horstmann Sinn und stellt so
einen mit dem Siegel höchster Moral versehenen Freibrief für
jede Tätigkeit, durch welche das vorgeblich Unvermeidliche
befördert wird, aus.
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