1. kingdom come
2. the curtain has fallen
3. join the great majority
4. give up the ghost
life is a highly overrated phenomenon
5. be given a gentle push
6. the great adventure
Literaturverzeichnis samt Linx
Inhaltsverzeichnis und Gästebuch



5.4 Der Computer

5.  be given a gentle push - Männliche Geburten der Mittel der Apokalypse
5.1.  Die Bombe
5.2.  Die Rakete
5.3.  Baby, we were born to run
5.4.  Der Computer
5.5.  Die unterschlagene Katastrophe bei Platon und Freud
Auch zur dritten Weltkriegserfindung, dem Computer, finden sich Benennungen technischer Erfindungen als männliche Geburtsvorgänge unter Ausschluss von Frauen. Ich zitiere aus einem Artikel in einer Computerzeitschrift zum mutmaßlichen 30.Geburtstag des Internet. Bei diesen Stellen geht es jedoch weniger um die Hervorbringung der realen Mittel der Apokalypse, es steht mehr die Selbstbenennung der technischen Leistungen als Geburten im Vordergrund:

,Begonnen hatte alles am...Ja, wann denn eigentlich? Wie immer bei teilweise nur mündlich überlieferter Geschichte und vielfältigen Interessen an der Historie gibt es diverse Stichtage. Wie wäre es mit dem 2.September 1969? An diesem Tag wurde im Labor von Leonard Kleinrock an der Universität von Kalifornien in Los Angeles (UCLA) der erste Computer an einen Interface Message Processor (IMP) angeschlossen. 'Wir hielten das nicht gerade für einen historischen Moment', erinnerte sich Kleinrock gegenüber einem AP-Reporter. 'Wir hatten nicht einmal eine Kamera dabei. Aber es war die Geburtsstunde des Internet.' Der IMP war ein mächtiger Klotz von einem Spezialrechner [...], der nach militärischen Normen von der Firma Bolt, Beranek & Newman [...] gebaut worden war. Der Rechner musste mit einem Kran in Kleinrocks Labor gehievt werden." (Borchers et.al. 1999, S. 128).

Voll ausgewachsen zur Welt gekommen, und seine Schreie wurden doch weiter als bis zur nächsten Farm gehört. Das erste Netz war am 10.10.1969 mit insgesamt vier IMPs (L.A., Stanford, Santa Barbara, Salt Lake City) etabliert.
Für diverse andere mögliche Daten, an denen sich die "geburtsstunde" des Internets festmachen ließe, gilt:

"die Genialität, die man den Entwicklern des Internet aus heutiger Sicht zuschreibt, wird von den Technikern eher spöttisch kommentiert. Ken Klingenstein, der für die Simplizität des von ihm entwickelten SNMP (Simple Network Management Protocol) geehrt wurde, klärte den genialen Wurf im Interview auf: 'Mir kam die Idee zu SNMP in einer Bar auf dem Weg nach Hause. Ich nahm eine Serviette des Drinks und schrieb alle Befehle auf. Es mussten einfach wenige sein, weil die Serviette so klein war'" (ebd., S. 130).

Auch weitere Erfindungen werden verniedlicht:
Len Kleinrock erfindet E-Mail wegen seines vergessenen Rasierers. Ray Tomlinson macht den Klammeraffen @ zum Teil der User-Adresse, weil er das Zeichen auf seiner Tastatur sonst am wenigsten benötigt. Vint Cerf schreibt die ersten Skizzen zum Kommunikationsprotokoll des Internets (TCP/IP) auf die Rückseite der Bedienungsanleitung seines Hörgeräts. Derselbe Vint Cerf hat die Idee für ein transgalaktisches Protokoll, mit dem lange Laufzeiten von Datenpaketen bei der Kommunikation zwischen Mars und Erde überbrückt werden können, bei einem Schaumbad (vgl. ebd., S. 129f).

Den ersten Dialog zwischen zwei IMPs an jenem 10.10.1969 beschreibt Kleinrock so:

"Wir tippten also das L ein und fragten am Telefon 'Seht ihr das L?' 'Wir sehen es', war die Antwort. Wir tippten das O ein und fragten 'Seht ihr das O?' 'Ja, wir sehen das O!' Wir tippten das G ein... und die Maschine stürzte ab." (ebd., S. 129).

Kein "LOGIN" beim ersten Versuch.
Der schon erwähnte Vint Cerf hatte jedenfalls auf allen Geburtstagsfeiern für das Internet seinen Spaß, hat er doch ,bei MCI Worldcom den PR-Job eines Vaters des Internet" (ebd., S. 128) inne.

Der Punkt ist für mich: Techniker gehen ihrer Arbeit nach und haben an einem bestimmten Moment das Gefühl, etwas Besonderes gemacht zu haben. Oder es stellt sich im nachhinein heraus, dass es etwas Besonders war. Und dann wird der Vorgang der Erfindung als Geburtsvorgang beschrieben. Die anekdotischen Beschreibungen verklären das "Vaterwerden" zur banalen Alltagshandlung. Die Väter der Technik bekennen sich gleichsam nicht mehr zu ihrer Zeugungstätigkeit. Statt Vätern im klassischen Sinn gleichen sie eher dem klassischen Bild weiblicher Empfängnis. Die Ideen liegen in der Luft und befruchten die passiven Techniker. Stand bei früheren Beschreibungen technischer Geburtsvorgänge die männliche Bemächtigung der Geburtstätigkeit im Vordergrund ("der Natur ihre Geheimnisse entreissen"), so ist die Entstehung des Internet eine Folge von Zufallsschwangerschaften.

Die (Selbst-)Beschreibungen der Tätigkeit der Atomtechniker markieren in diesem Zusammenhang eine Änderung im (Selbst-)Verständnis technologischer Erkenntnisgewinnung. Der Techniker und Wissenschaftler als autonom Handelnder ist zwar noch sehr stark vorhanden (vgl. etwa die Figuren Oppenheimer oder Braun), gleichzeitig übernimmt eine dem wissenschaftlichen Prozess innewohnende (oder ihm eingeschriebene?) Eigendynamik das Kommando. Das explizite Verweisen auf metaphysische Instanzen (wie für Oppenheimer zitiert) belegt diese Veränderung im wissenschaftlichen Bewusstsein, die in den 1980er Jahren etwa im Diskurs über das Schlagwort Restrisiko (v.a. der zivilen Atomtechnologie) auf breiter Ebene rezipiert wurde.

Die Folie dieses Vorganges ist der gegenüber einem theologischen Weltmodell beschränkte Zeithorizont wissenschaftlichen Denkens und Handelns. Das Fehlen des langfristigen Horizontes belegen z.B. die bemühten Konstruktionen einer für unsere Kinder zu bewahrenden Welt von morgen. Das Problem liegt darin, dass ohne langfristiges Zeitmodell Technologien entwickelt werden, die hier und heute paradiesische Zustände ermöglichen sollen. Dabei werden Kräfte einer bezwungen geglaubten Natur freigesetzt, die irreversibel sind (vgl. Anders' berühmte Formulierung vom nicht mehr aus der Welt zu schaffenden Wissen um die Atombombe: "Einmal Atombombe, ein für alle Male Atombomben", Anders 1981, S.56).

Horstmann verschränkt im Untier diese Freisetzung von Naturkräften (Atomtechnik, Biotechnik), die zu einer infantilen Ohnmacht der Technokraten führte, mittels der Behauptung eines umfassenden natürlichen Todesantriebs mit der in Gefahr geratenen menschlichen Beherrschungskompetenz. Aus der "unvermeidbarkeit der Apokalypse" (zit. bei Vondung 1988, S. 108) destilliert Horstmann Sinn und stellt so einen mit dem Siegel höchster Moral versehenen Freibrief für jede Tätigkeit, durch welche das vorgeblich Unvermeidliche befördert wird, aus.

 




1. kingdom come 2. the curtain has fallen 3. join the great majority 4. give up the ghost 5. be given a gentle push 6. the great adventure Literaturverzeichnis samt Linx Inhaltsverzeichnis und Gästebuch
life is a highly overrated phenomenon
Zur Theorie des männlichen Weltuntergangs bei Ulrich Horstmann

Diplomarbeit von Thomas Jöchler © 2000